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II.

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seine Erziehung seine Stellung

Freundschaften und Streitigkeiten

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Harmonie seines Lebens und seines Talents.

Seine Anfänge stehen in einem auffallenden Contrast zu denen der Dichter der Renaissance; das waren Schauspieler, Landstreicher, Soldaten, die von Anbeginn in all den Gegensätzen und der Misère cines viel bewegten Lebens hin und her geworfen wurden. Er ward in einer guten Familie im Jahre 1631 geboren; sein Großvater und sein Onkel waren Baronets; Sir Gilbert Pickering, sein Verwandter, war Ritter, Mitglied des Parlaments und, unter Cromwell, des Rathes der Einundzwanzig, einer der höchsten Beamten des neuen Hofes. Dryden wurde in einer ausgezeichneten Schule bei dem damals hochberühmten Dr. Busbh erzogen; dann brachte er vier Jahre in Cambridge zu. Als er durch den Tod seines Vaters ein kleines Besißthum geerbt hatte, benutte er seine Freiheit und sein Vermögen nur, um seinen Studien weiter obzuliegen, und lebte noch drei Jahre lang zurückgezogen auf der Universität. Hier sieht man die strengen, regelmäßigen Gewohnheiten einer achtbaren und wohlhabenden Familie, die Zucht einer consequenten und soliden Erziehung, den Sinn für classische und umfassende Studien. Solche Umstände verkündeten und bereiteten nicht einen Künstler, wohl aber einen Gelehrten.

Ich finde dieselben charakteristischen Neigungen in seinem weiteren öffentlichen und privaten Leben. Er bringt den Morgen regelmäßig mit Schreiben und Lesen hin, dann speist er mit seiner Familie. Seine Lectüre ist die eines Mannes von Bildung und kritischem Geiste, der wenig an Amüsement und Aufregung denkt, der aber lernt und urtheilt; Virgil, Ovid, Horaz, Juvenal, Persius, das sind seine Lieblingsschriftsteller; er übersezt mehrere, ihre Namen kommen ihm immer in die Feder; er untersucht ihre Ansichten und ihren Werth, er nährt seinen Geist mit jener Vernünftigkeit, die durch die oratorischen Ge= wohnheiten allen Werken des römischen Geistes eingeprägt ist. Er ist vertraut mit der neuen französischen Literatur, der Erbin der lateinischen,

mit Corneille, Racine, mit Boileau, Rapin und Bossu; er urtheilt mit ihnen, oft nach ihnen, er schreibt mit Nachdenken und ermangelt selten, zur jedesmaligen Rechtfertigung seiner neuen Werke, irgend eine gute Theorie aufzustellen. Von einigen Ungenauigkeiten abgesehen kennt er sehr gut die Literatur seines Volkes, weist den Autoren ihren Rang an, classificirt die verschiedenen Arten, geht zurück auf den alten Chaucer, den er überseßt und in ein neues Gewand einkleidet. So ausgerüstet pflegt er des Nachmittags nach Will's Kaffeehaus zu gehen, dem großen literarischen Rendezvous: junge Dichter, Studenten, die eben die Universität verlassen haben, Freunde der Literatur scharen sich um feinen Stuhl, der im Sommer vorsorglich an den Balcon, im Winter an den Kamin gerückt ist, und schäßen sich glücklich, ein Wort zu erhaschen, respectvoll eine Prise aus seiner gelehrten Dose zu nehmen. Denn er war in der That der Beherrscher des Geschmacks, der Schiedsrichter in der Literatur. Er kritisirt die Novitäten, Racine's lette Tragödie, ein langweiliges Epos von Blackmore, die ersten Gedichte von Swift; ein wenig eitel versteigt er sich in dem Lobe seiner Gedichte bis zu der Behauptung, „daß man niemals eine schönere Ode als die seinige, „on Alexander's Feast" verfaßt habe und auch verfassen werde", ist sonst aber mittheilsam, ein Freund jenes belebenden Gedankenaustausches, den die Diskussion unfehlbar erzeugt, fähig Widerspruch zu dulden und seinem Gegner Recht zu geben. Diese Sitten zeigen, daß die Literatur eher ein Product des Studiums als der Inspiration, eher eine Sache des Geschmacks als des Enthusiasmus, eher eine Quelle für Zerstreuung als für Empfindung ge= worden ist.

Sein Publikum, seine Freundschaften, seine Handlungen, seine Kämpfe hatten dieselbe Richtung und Tendenz. Er lebte unter den Vornehmen und Höflingen, in einer Gesellschaft erkünftelter Sitten und berechneter Sprache. Er hatte die Tochter des Grafen Thomas von Berkshire geheirathet, war Historiograph, dann gekrönter Dichter. Er sah häufig den König und die Prinzen. Er widmete jedes seiner Werke irgend einem vornehmen Herrn in einer schmeichlerisch kriechen= den Vorrede, die von einem intimen Verkehre mit den Großen Zeugniß gab. Er erhielt eine goldgespickte Börse für jede Dedication,

beeilte sich seinen Dank abzustatten, führte einige von diesen Lords unter Pseudonymen in seinem Essay,,on the Dramatic Art" ein, schrieb Einleitungen für die Werke Anderer, nannte sie Maecenas, Tibull, Pollio und discutirte mit ihnen literarische Werke und Ansichten. Die Wiederherstellung eines Hofes hatte in ihrem Gefolge die Kunst der Conversation, die Eitelkeit, die Nöthigung, als ein Mann von Bildung und gutem Geschmack zu erscheinen, alle jene Gewohn= heiten der Salons, die die Quelle der classischen Literatur sind und die Menschen die Kunst einer feinen Sprache lehren. Andererseits durchdrang die Literatur, dem Einflusse der Gesellschaft näher gerückt, alle Verhältnisse derselben, zunächst die kleinen Privatstreitigkeiten. Während die Gelehrten sich verbeugen lernen, lernen die Höflinge schreiben. Bald gerathen sie an einander und schlagen sich natürlich. Der Herzog von Buckingham schreibt eine Parodie auf Dryden und gibt sich alle erdenkliche Mühe, in der Hauptperson den Ton und die Gesten seines Feindes zu carrikiren. Später nimmt Rochester den Kampf mit dem Dichter auf, unterstüßt Settle gegen ihn und läßt ihn durch eine Bande gedungener Schurken durchprügeln. Außerdem hatte Dryden Streit mit Shadwell und vielen Anderen, zuletzt mit Blackmore und Jeremy Collier. Obendrein mischte er sich in den Streit der politischen Parteien und religiösen Secten, kämpfte für die Torys und die Anglikaner, dann für die Katholiken, schrieb „The Medal, Absalom and Achitophel" gegen die Whigs, „Religio Laici" gegen die Dissidenten und Papisten, dann „The Hind and Panther" für den König Jacob II., mit der Logik eines Controver= sisten, mit der Heftigkeit eines Parteimannes. Von diesem kampfbewegten Leben des Polemikers ist es noch ein weiter Weg zu dem stillen Träumen des wahren Dichters. Solche Verhältnisse lehren die Kunst, klar und kraftvoll zu schreiben, methodische und logische Discussion, exakten und markigen Stil, Spott und Widerlegung, Beredsamkeit und Satire; denn diese Talente sind nöthig, sich Gehör oder Glauben zn verschaffen, und der Geist betritt gezwungen einen Weg, wenn dieser der einzige ist, der ihn zum Ziele führt. Dryden betrat ihn freiwillig. In seinem zweiten Werke*) verkünden die Fülle wohl*) Heroic stanzas to the memory of Oliver Cromwell.

geordneter Ideen, die oratorische Energie und Harmonie, die Einfach-
heit, der Ernst, der heroische, echt römische Geist einen classischen
Genius, nicht Shakespeare, wohl aber Corneille verwandt, nicht für
Dramen, wohl aber für Discussionen befähigt.

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III.

Die Wiedereröffnung und Umgestaltung der Theater. Das neue Publikum
und der neue Geschmack. Dramatische Theorien Dryden's. Sein Urtheil
über das alte englische Theater. Sein Urtheil über das neue französische
Theater. Die Mischung in seinen Werken. Die Ungleichförmigkeit in seinen
Dramen. „Tyrannic Love." — Die Gemeinheit seiner Charaktere.
Indian Emperor, Aurengzebe, Almanzor."

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The

Und doch widmete er sich zunächst dem Drama. Er schrieb deren siebenundzwanzig und schloß mit den Schauspielern des königlichen Theaters einen Vertrag, ihnen jährlich drei Stücke zu liefern. Das unter der Republik geschlossene Theater war eben mit außerordent= lichem Glanze und Erfolge wieder eröffnet. Die prachtvollen, beweg= lichen Decorationen, die nicht mehr von jungen Männern, sondern von Schauspielerinnen gespielten weiblichen Rollen, die neue glänzende Wachskerzenbeleuchtung, die Maschinerie, die frische Popularität der Schauspieler, welche die Löwen des Tages wurden, der anstößige Einfluß der Schauspielerinnen, welche die Maitressen der Aristocratie und des Königs waren, das Beispiel des Hofes und die Nachahmung Frankreichs lockten die Zuschauer in Menge herbei. Die so lang unterdrückte Vergnügungssucht durchbrach alle Schranken; man hielt sich für die durch fanatische Puritaner auferlegte, lange Enthaltsamkeit schadlos; Auge und Ohr, der finsteren Gesichter, des näselnden Tones, des officiellen Jammers über Sünde und Verdammniß überdrüssig, weideten sich an lieblichem Gesang, an schimmernden Gewändern, an verführerisch wollüstigen Tänzen. Man wollte das Leben genießen und zwar in einer neuen Weise; denn eine neue Welt war entstanden, die der Höflinge und Müßiggänger. Die Abschaffung der Lehnsverhältnisse, der enorme Aufschwung des Handels und des Reichthums, das Zuströmen der Grundbesizer, welche Bächter einsetzten und nach London kamen, um die Freuden der Stadt zu genießen und die Gunst

satiated

des Königs zu erwerben, hatten in England wie in Frankreich an die Spitze der Gesellschaft Rang und Ansehen, die Sitten und die Passionen der vornehmen Welt, der müßigen Salonmenschen gestellt, die nur für Vergnügen, Conversation, Wiß und feine Manieren Sinn hatten und sich mit dem Stücke en vogue nur beschäftigten, um es zu kritisiren, nicht, um sich zu amüsiren. Auf solcher Grundlage baute sich Dryden's Drama auf; der Dichter, gierig nach Ruhm und Vermögen, fand hier beides, Vermögen und Ruhm, und war mit Hülfe von Theorien und Vorreden insofern halb ein Erneuerer, als er sich von dem alten englischen Drama entfernte, sich der neuen französi

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schen Tragödie näherte, einen Compromiß zwischen classischer Beredt- aleguan samkeit und romantischer Wahrheit versuchte und sich, sogut er konnte, dem neuen Publikum accommodirte, das ihn bezahlte und applaudirte. „Die Sprache, der Wiß, die Unterhaltung“*), sagte er, „haben sich seit dem lezten Jahrhundert sehr vervollkommnet und verfeinert", ein Umstand, durch den in den alten Dichtern mancher Fehler entdeckt und eine ganz neue Art Drama eingeführt wurde.

„Wenn Jemand, der Englisch versteht, aufmerksam die Werke von Shakespeare und Fletcher liest, so wage ich zu behaupten, daß er auf jeder Seite entweder einen Sprach- oder einen offenkundigen Sinnfehler finden wird. Meistens besteht die Fabel in einer lächerlichen unzusammenhängenden Geschichte . . . Viele Stücke von Shakespeare gründen sich entweder auf Unwahrscheinlichkeiten oder find so schlecht geschrieben, daß der komische Theil nicht unser Lachen, der ernste nicht unser Interesse erregt. Ich könnte leicht beweisen, daß unser so bewunderter Fletcher sich weder auf die Schürzung des Knotens, noch auf das sogenannte Decorum der Bühne verstand. So verwundet z. B. Philaster seine Geliebte auf der Bühne; sein „Schäfer“ begeht zweimal dieselbe Brutalität. **)

*) Defence of the Epilogue to the Conquest of Granada. Grounds of Criticism in tragedy.

**) The language, wit, and conversation of our age are improved and refined above the last .

...

Let us consider in what the refinement of a language principally consists: That is either in rejecting such old words or phrases which are ill sounding or improper, or in admitting new, which are more proper, more sounding, and more significant . . .

Let any man who understands English, read diligently the works of
Shakespeare and Fletcher, and I dare undertake that he will find, in every
page, either some solecism of speech, or some notorious flaw in sense
Taine, Gesch. der engl. Literatur. II.

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