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II. Vermischtes.

Anfänge der ökonomisch - politischen Wissenschaften in Deutschland.

In Deutschland bilden die ökonomisch-politischen Fragen seit dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts nicht nur einen wichtigen Gegenstand praktischer Berathschlagung, sondern auch theoretischer Untersuchung und öffentlicher Besprechung. Schon in der „neuen Ordnung weltlichen Standes“ und der sogenannten „Reformation Kaiser Friedrichs III." und andern Flugschriften treten die Fragen, welche das Jahrhundert bewegen, klar und bestimmt hervor. Die weitere Bearbeitung derselben lehnte sich dann theils an den Aristoteles, dessen Schriften nach Melanchthons Vorgang übersetzt und erläutert wurden, theils an die Bedürfnisse der praktischen Politik an. In ersterer Beziehung hat sich der bekannte Joachim Camerarius, dessen Uebersetzung und Commentar der politischen und ökonomischen Schriften des Aristoteles im Jahre 1551 erschien, ferner Johannes Calvinus, nicht der bekannte französische Reformator, sondern ein Jurist, welcher gegen Ende des 16ten Jahrhunderts Professor in Heidelberg war und im Jahre 1595 zu Frankfurt eine Propaedia practica s. studii politici πρόγνωσις παρασκευαστική herausgah, besonders verdient gemacht. In letzterer Beziehung verdient die erste Stelle: Melchior v. Osse, geb. 1494, welcher erst Soldat war, sich in seinem 23ten Jahre den Wissenschaften widmete, Professor der Jurisprudenz zu Leipzig, dann Chursächsischer Rath, Canzler und Oberhofrichter zu Leipzig wurde. Er starb um 1563.

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Auf Veranlassung des Churfürsten August schrieb er im Jahre 1555 sein „Bedenken" nieder, wie Gott dem Allmächtigen zu Ehren und Lobe, und Sr. Churfürstl. Gnaden Landen zu Wohlfarth eine gottselige, starke, rechtmässige, unpartheiische Justicia in derselbigen Churfürstenthum und Landen erhalten, was demzugegen missbräuchlich eingerissen abgewandt, und die langen verzöglichen Processe abgeschnitten werden möchten" und liess diese Schrift als sein politisches „Testament" am Neujahrstage 1556 dem Kurfürsten übergeben. Die Schrift, in deutscher Sprache abgefasst, war zugleich zu

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weiterer Mittheilung und namentlich auch an solche bestimmt, welche der lateinischen Sprache nicht mächtig und scheint in vielen Abschriften verbreitet gewesen zu sein.

Ein Theil derselben wurde im Jahre 1607 zu Frankfurt in Druck gegeben unter dem Titel: Prudentia regnativa, d. i. ein nützliches Bedenken, ein Reich, sowohl in Kriegs- als Friedenszeiten recht zu bestellen, zu verbessern und zu erhalten. 91/2 Bogen. 8. Dasselbe wurde von Caspar Pistor in's Lateinische übertragen unter dem Titel: Consilium politico-juridicum de principatu pacis bellique tempore salutariter administrando s. testamentum. Frankfurt 1609. 8. Auch erschien ein Abdruck unter dem Titel: Prudentia regnativa h. e. Bedenken, ein Reich, sowohl in Kriegs- als Friedenszeiten recht zu bestellen, zu verbessern und zu erhalten. Wolffenbüttel 1622. 8. Im Jahre 1717 erst gab Christian Thomasius die Schrift vollständig heraus unter dem Titel: D. Melchiors v. Osse Testament gegen Herzog Augusto, Churfürsten zu Sachsen, Sr. Churfürstl. Gnaden Räthen und Landschaften. 1556. Anitzo zum ersten Male völlig gedruckt, auch hin und wieder durch nützliche Anmerkungen erläutert. Nebst einer Vorrede und Anhang von einem Versuch kleiner Annalium, den damaligen Zustand sowohl bei Hofe als auf Universitäten desto deutlicher sich einzubilden. 4. Halle. (54; 548; 264 Seiten). Die Schrift Osse's zerfällt in zwei Abschnitte, von denen der erste die Regierungsgrundsätze im Allgemeinen behandelt, der zweite „ein Exempel eines guten Regiments und der Stücke so dazu gehörig, aufstellt“, nämlich von der Regierung, Justizien, Polizei der löblichen Chur- und Fürstenthümer Sachsen, Döringen und Meissen etc."

Von dem ersten oder allgemeinen Theil bildet die Prudentia oeconomica einen Hauptabschnitt. Der Verfasser behandelt darin nach der Eintheilung des Aristoteles 1) das regimen conjugale, 2) das regimen paternale, 3) das regimen dominativum. Unter diesem dritten Gesichtspunkte wird dann das fürstliche Kammerwesen betrachtet. Der Standpunkt, den er dabei einnimmt, ist nicht der des Staatsrechts und der Politik, sondern der bürgerlichen Moral und Wirthschaft.

Der Fürst soll seine wirthschaftliche Einrichtung so treffen, dass für die regelmässigen Bedürfnisse die Einkünfte des Kammergutes ausreichen. Zu Steuern soll er nur für ausserordentliche Fälle, in Kriegs- und andern Nöthen seine Zuflucht nehmen. „Dann so hoch als die Unterthanen nach der Lehre Pauli (Röm. 13) aus Gottes Befehl schuldig, in unmeidlichen Nothfällen ihrer Obrigkeit nach allem Vermögen treulich und mit gutem Willen und Herzen zu helfen und darin weder Leib noch Gut zu sparen; so hoch sündiget auch gewisslich eine Obrigkeit, wenn sie nicht aus Nothfällen, so ihr der liebe Gott zuschicket, sondern aus eigenem Willen, und durch Mittel, die sie wohl umgehen könnte, ihre Sachen in den Stand bringet, dass sie ihre armen Leute und Unterthanen mit Steuer oder neuerlichen Aufsetzen beschwert."

,,Solche Unbequemlichkeiten alle kann eine fromme gottesfürchtige Obrigkeit durch dreierlei Wege verhüten. Erstlich, dass sie alle ihre Zuversicht

der

und Hoffnung ihres Gedeihens, Reichthums und Glücks auf den stelle, solches und Alles, was gut ist, denen giebt, die ihn fürchten und auf seine Güte warten, und sich vorsetze, derselbigen seiner Reichthümer zu göttlichem Lobe und Förderung gemeines Nutzens zu brauchen und nicht zu umziemlichen Sachen zu missbrauchen, so wird ohne Zweifel der Segen Gottes dabei sein und alles glückseligen. Zum andern, dass ein Herr sein königlich oder fürstlich Kammergut und Nutzungen wohl zusammen und zurathhalte, dasselbige keineswegs verwenigere; denn wenn man inne wird, dass ein Herr seine Kammergüter und Nutzung auch an einem Ort von sich lässt, so fasst ein jeglicher Hoffnung, ebengleich Glück zu haben, und was ihm gelegen auch zu bekommen, und reisset dann der Handel weit ein, und so weit, dass die Herrn die Steinhaufen behalten, die guten Dörfer, Vorwerke, grosse Gehölze und andere nutzbar Gründe kommen in anderer Leute Hände. Diese, diese sind den Herrn und den Landen schädliche Leute, denn wenn der Herrn Kammergüter geschwächet werden, wovon sollen sich denn die Herren anders erhalten, denn dass sie allen Kosten setzen auf Steuern und der Unterthanen Beschwerung."

Der Fürst soll darum auch die meisten Renten zu Rathe halten, die Güter selbst und durch tüchtige Wirthe administriren, die des Herrn Güter, so auszuthun, unpartheiisch um billige Pension, und nicht irgend einem Freund zur Belohnung um halb Geld, verpachten. Wo Bergwerke sind, soll der Fürst sorgen, dass sowohl er nichts an seinem Zehnten verliere, als auch die Gewerke nicht übervortheilt werden. „Das dritte, dadurch ein Herr seiner Unterthanen Beschwerung verhüten kann, ist diess, dass er seine Kosten und Hofhaltung in allen Sachen also anstelle, dass er mit seinen fürstlichen Kammerrenten nicht allein wohl zukomme, sondern auch von denselbigen jährlich etwas Tapferes erobere; denn der gedeihet nicht, der jährlich so viel verthut, als er Einkommen hat, viel weniger der, so mehr umbringet, denn ihm jährlich gefället (zufällt); denn wenn die Ausgabe der jährlichen Einnahme gleich ist, so kann ein unversehentlich Unglück bald einen grossen Unrath verursachen."

Was die Verwendung der Einkünfte betrifft, so sollen dieselben „allein zu nothwendigen Ausgaben gebraucht und aller unnützer, vergeblicher oder überflüssiger Kost gemieden werden, damit dem Herrn durch ehrliche und unnachtheilige Sparsamkeit und Parsimonien ein Vorrath von Geld hinterleget und von Jahr zu Jahr gemehrt werde, dess der Herr und sein Land und Leute in vorfallender Noth sich zu getrösten."

„Diess sind aber die Stücke, so gemeiniglich den grossen Herrn ihre Kammern plündern, und solchen Vorrath verhindern: übrige Bausucht; grosse übermässige Spiele; zu viel übermässiges grosses Hofgesinde, dadurch der Kost über des Herrn Vermögen steiget; viel grosse unnütze Gaben, die gemeiniglich denen geschehen, so diess um den Herrn nicht verdienen, noch verdienen können."

Der Fürst soll zur Verwaltung des Kammerwesens tüchtige Räthe be

stellen, aber es nicht einer Person, sondern einem Collegio zur Verwaltung übergeben. Die Rechnung soll sich der Fürst persönlich legen lassen.

Die Gegenstände von Ausgaben sollen sein: die Förderung der Religion, die Unterstützung der Armen, endlich die Bezahlung derer, welche an die Kammer mit Forderungen angewiesen sind. Was den fürstlichen Hofhalt betrifft, so beklagt der Verfasser sehr den Verfall aller Zucht und Sitte und wünscht namentlich dem eingerissenen, übermässigen „Saufen“ gesteuert.

In dem zweiten Theile handelt das XX. Kapitel „von guter Polizei". Auch hier werden ebenfalls mehrere die Wirthschaft betreffende Fragen berührt.

„Erstlich weil die von der Ritterschaft, nach Vermögen der alten Landesordnungen, und vieler darauf erfolgten Ausschreiben sich sammt ihren Unterthanen, Mältzen, Brauens und anderer bürgerlichen Nahrung enthalten müssen, welches nicht allein billig, sondern der Adel sich auch sonsten nach Verordnungen der Rechte, aller Kaufmannshändel und Handthierungen zu enthalten schuldig; so sollte itzo billig auch zu ordnen sein, dass die in Städten, so nicht vom Adel, sich der Rittergüter auffm Lande, die an sich zu bringen, auch der Stände, so von Alters her mit denen vom Adel bestellt worden, enthielten, damit der Landstand von der Ritterschaft nicht weniger, denn die Bürger in Städten, bei ihrer Nahrung auch blieben und unterkommen möchten; denn eine gute Polizei erfordert solche Versehungen, dass ein Landstand bei den andern bleiben könne. Nun ist ja die höchste Ungleichheit, dass die Städte ihre bürgerlichen Nahrungen zuvor haben, und der von der Ritterschaft Nahrung und Bequemlichkeiten auch an sich ziehen wollen. Da dem nachgehangen, kann nichts anders denn des andern Landstandes, nämlich der Ritterschaft Fall und Schwächung ihres Vermögens, in die Harre erfolgen. Denn es kommt die Leute in den Städten zum Theil, in Gewerben und andern Händeln, das Geld leicht an, dass sie die Güter mit wenigerem Nachtheil, denn die von Adel, mit der Kaufsumma übersetzen und andere vom Kaufen abdringen können, wann die Obrigkeit, Gleichheit unter den Landständen zu erhalten, darin nichts widerhält."

„Zum vierten siehet man itzo einen trefflichen unmässigen, überflüssigen Pracht, in Kleidungen, fast in allen Ständen, sonderlich aber bei denen vom Adel, zum Theil und in etlichen Städten, auch bei Bürgers - Weibern und Töchtern, also dass sie zum Theil nicht als Edelleute oder Bürger, sondern als grosser mächtiger Herrn Weiber und Fräulein hergehen, dass auch etliche. also geschmückt sind, dass Fürsten und Herrn, erstes Ansehens in Gepränge, ihre Gemahl unter solchen Schmuckweibern und Jungfrauen nicht haben erkennen können; und kommen die armen elenden Märterer, ihre Ehemänner, oder Väter damit nicht davon, dass sie sie einmal über die Gebühr und ihr Vermögen nach allem ihrem Gefallen kleiden und schmücken, sondern ihr unersättlicher Vorwitz bringt fast alle und je über zwei oder das dritte Jahr neue Tracht auf."

Durch solchen übermässigen Aufwand werden die einzelnen zu Grunde

gerichtet,,,und ist eine Sache vor fremde Nationen und vor die Händeler, die bekommen vor unnothdürftige Wuare das Geld und Güter dieser Lande, das wird in andere Land gewandt, und gehet gemeiner Nutz dieser Lande, welcher durch Geld und Gut der Landleute, nicht weniger denn ein menschlicher Leib durch Ader und Blut erhalten wird, su Boden. Denn gleichwie die Eigeln das Blut aussaugen, also sauget solcher unnützer Pracht und ander vergeblicher Kosten, dess diese Lande voll, voll sind, das Geld, als die Enthaltung gemeinen Nutzens, aus dem Lande, und richt so viel aus, dass, wenn man meint, man habe das Geld und Vermögen der Unterthanen im Lande, so haben sich andere Lande und Nationen davon gereichert, die doch zum Theil weder Gold noch Silber von ihnen kommen lassen, und also wenig Geldes aus denselbigen Königreichen und Landen in diese Lande gewandt wird. Darum erfordert meines gnädigsten Herrn sonderlicher auch gemeiner Nutz dieser Lande höchlich, dass Se. Churfürstl. Gnaden mit Ernst in diess verderbliche auch ärgerliche Wesen greiffen, die Versehung thäten, dass solcher übermässiger ungebührender Schmuck in allen Ständen abgelegt, damit andere nicht weiter nachfolgen, und ein itzlicher Stand in einer feinen, ehrlichen, ihm gebührenden Tracht, die ohne Nachtheil der Nahrungen zu erzeigen, hereinginge, und dass mit Ernst und beharrlich darob gehalten würde, denn sonst schleicht dieser Gift wie zuvor ofte geschehen, bald wieder ins Land."

„Zum fünften erinnere ich unterthänig die jährliche Steigerung des Fleischkauffs, dess Niemand reich noch arm gerathen kann, und ist zu befahren, da in diesen Dingen bei Zeit nicht Maass gefunden, dass das Fleisch im Kauffe so hoch steigen werde, dass arme Leute dasselbige nicht bezahlen und die armen Handwerksleute derhalben ihre Diener auf den Werkstätten nicht werden behalten können. Mich dünkt aber, man könnte fördere Steigerungen verhüten, wenn sich mein gnädigster Herr mit der Königlichen Majestät, auch etlichen umliegenden Fürsten in guter Anzahl eines gleichen Zentners, Pfunds und Gewichte vereinigten, ein gewissen Fleischkauff setzten, und sich verglichen, dass man den förder nicht steigern lassen wollte, auch darob hielte."

,,Zum sechsten däucht mich dem Lande schädlich sein, dass die Obrigkeit denjenigen, so das ihre, welches ihren Eltern oder Vorfahren oft sauer worden ist, unnützlich, schändlich und elendiglich verprassen, verzehren und verschwenden, keinen Einhalt thut, dadurch mancher Unterthan, in Verderb und Noth, ehe er zu Jahren, und zu Verstande, kommt, da doch eine itzliche Obrigkeit nicht allein Fug, sondern auch von Rechten ausdrücklichen Befehl hat, solchen verthunlichen Verschwendern, wess Alters sie auch sind, nicht weniger denn aberwitzigen Leuten, Versorger und Curatores zu ordnen, die ihre Güter verwalten und ihnen jährlich ihre nothdürftige Unterhaltung davon reichen."

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