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Druck von H. Laupp jr.

I. Abhandlungen.

Untersuchungen über die Verfassungsgeschichte Genuas bis zur Einführung des Podestats um das Jahr 1200.

Von W. Heyd in Markgröningen.

Zur Orientirung über den gegenwärtigen Stand der genuesischen Historiographie sei mir erlaubt, ehe ich zur vorliegenden Monographie übergehe, einige kurze Bemerkungen über die vier neuesten Bearbeitungen der genuesischen Geschichte von Serra, Varese, Vincens und Canale voranzuschicken, welche ich näher kennen zu lernen und mit einander zu vergleichen Gelegenheit gehabt habe. Varese 1), der in Italien sehr geschätzte Verfasser mehrerer historischer Romane, hat es mehr darauf abgesehen, eine lebendige, für das gebildete Publikum lesbare und interessante Darstellung der genuesischen Geschichte zu geben. Vincens 2) verfolgt ähnliche Zwecke für seinen Leserkreis, zeigt dabei oft, wo Localpatriotismus den genuesischen Geschichtschreibern den wahren Sachverhalt verhüllt, gesundes unpartheiisches Raisonnement, ist im Allgemeinen gründlicher als Varese, obgleich seine Angaben im Detail oft ungenau sind, und hat, besonders über die Beziehungen Genua's zu Frankreich, manche Detailstudien gemacht. An Gründlichkeit und Gelehrsamkeit steht weit über Beiden der genuesische Marchese Girolamo Serra 3); sein Werk ist reich an wichtigen Mittheilungen aus den genuesischen Archiven und vorzüglich unterrichtend in Bezug auf die Geschichte des Handels und der Colonieen Genua's; leider fehlt es bei der Darstellung der inneren politischen Geschichte der Stadt an kritischem Auseinanderhalten der verschiedenen Perioden, an richtiger Einreihung des auch hier reichlich gegebenen Materials in die ihm anzuweisende Zeit und an derjenigen Unpartheilichkeit und Objectivität, welche auch der Geschichtschreiber seiner eigenen Vaterstadt nie aus den Augen setzen darf. Das Werk umfasst nur die Perioden des Alterthums und des Mittelalters. Nach ihm hat der genue

1) Storia della repubblica di Genova. 8 Bde. 1835 ff.

2) Histoire de la république de Gênes. 3 Bde. Paris 1812. Der Verfasser hat 20 Jahre in Genua gelebt.

3) Storia dell'antica Liguria e di Genova. 4 Bde. Turin, 1834.

sische Advocat Michele Giuseppe Canale 1), ein Schüler des gelehrten genuesischen Literarhistorikers Spotorno, eine Geschichte Genua's herauszugeben angefangen, deren eigenthümlicher Werth darin besteht, dass Canale die Verfassungsgeschichte der Stadt viel genauer als seine Vorgänger ins Auge gefasst und dieselbe durch Mittheilung neuer Urkunden aus dem reichen Urkundenschatz der genuesischen Staats- und Privatarchive aufzuhellen gesucht hat. Schade dass auch dieser verdienstvolle, für die alte municipale Autonomie und republikanische Grösse seiner Stadt patriotisch begeisterte Mann den Fehler so mancher italienischen Geschichtschreiber theilt, die sich durch ihre Liebe zur Vaterstadt und zum Vaterland den freien Blick für die Erkenntniss des wahren geschichtlichen Sachverhalts in gar vielen Fällen trüben lassen; das Werk liest sich oft mehr wie das Plaidoyer eines Advocaten, als wie ein Geschichtswerk; sagt doch der Verfasser selbst:,,La mia storia era più una causa della patria da trattare e difendere che una semplice narrazione di cose accadute" IV, 579.

In Deutschland ist eine specielle Bearbeitung der Geschichte Genua's noch nicht unternommen worden. Meine kleine Monographie kann nicht den Anspruch machen, diese Lücke in der deutschen Litteratur auszufüllen; sie beschränkt sich auf die Verfassungsgeschichte Genua's in der ersten Hälfte des Mittelalters. Die Entstehung der municipalen Freiheit, zu der die italienischen Städte im Mittelalter sich aufgeschwungen haben, ist neuerdings namentlich von K. Hegel und Bethmann - Hollweg zum Gegenstand gelehrter Erörterungen gemacht worden, welche auch im weiteren Publikum Interesse für diese Frage erregt haben. Eine historische Monographie, welche an einer einzelnen dieser Städte den stetigen Fortgang von dem Genuss der ersten spärlichen Freiheiten bis zur vollen Selbstregierung verfolgt und den Organismus des mittelalterlichen Municipiums in seiner frühesten Gestalt darstellt, wird nicht unverdienstlich und um so interessanter sein, wenn diese Stadt, wie es bei Genua der Fall ist, zudem theilweise ganz eigenthümliche, sonst nicht gekannte Verfassungsformen zeigt.

Das Material zu vorliegender Arbeit haben mir theils die Bibliotheken von Stuttgart und Tübingen, theils die von Turin und Genua, welche ich, auf einer grösseren Reise durch Italien begriffen, im Herbst 1852 besuchte, geliefert. Man wird finden, dass nicht nur die betreffenden genuesischen Chronisten bei Muratori, sondern auch das, was ihre neuern Herausgeber zu ihrer Erläuterung beigebracht haben, nicht nur die Municipalstatute Genua's selbst, sondern auch deren treffliche Erklärungen von Raggio und Cibrario, wie auch viele andere zerstreute Documente 2), endlich nicht nur die oben

1) Storia civile, commerciale e litteraria dei Genovesi. Bis jetzt 4 Bände. Genua 1844. 1846.

2) Dass aus der grossen Urkundensammlung, welche Genua an seinem liber jurium besitzt, bis jetzt immer blos einzelne Urkunden herausgegeben wurden und der Druck des Ganzen (wie ich höre durch den gelehrten Turiner Professor Ercole Ricolti) erst vorbe. reitet wird, hatte ich für meine Arbeit lebhaft zu bedauern.

genannten Hauptschriften über Genua's Geschichte aus neuester Zeit, sondern auch manche andere in Deutschland seltene italienische Monographieen benützt und ausgebeutet sind. Was die Bearbeitung des Stoffs betrifft, so habe ich mein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, auf Grundlage einer richtigen Erklärung der Quellen, die nicht mehr und nicht weniger in denselben sucht, als sie wirklich sagen, ein möglichst treues und urkundlich genaues Bild von der Entwicklungsgeschichte der genuesischen Municipalfreiheit (innerhalb der durch den Titel bezeichneten Gränzen) zu gewinnen.

Vielleicht dürften Untersuchungen über Pisa's Geschichte im früheren Mittelalter in nicht allzu ferner Zeit nachfolgen.

I.

Genua vor Errichtung des Consulats.

Die meisten italienischen Städte reichen mit ihren Anfängen ins Alterthum zurück, wenn nicht ins vorrömische, so doch ins römische, und ihre Verfassungsform war zur Zeit der römischen Herrschaft überwiegend die des Municipiums. So erfreute sich auch die alte Stadt der Ligurier Genua unter den Römern der Municipalfreiheit ). Es ist nun bekanntlich eine der Hauptfragen in Betreff der Geschichte der italienischen Städte die, ob die römische Municipalfreiheit in der Uebergangszeit vom Alterthum zum Mittelalter vernichtet worden, ob somit die freiheitliche Verfassung, zu der wir diese Städte im Mittelalter sich erheben sehen, eine völlig neue Erscheinung des Mittelalters sei, oder ob in der That jene Municipalverfassung wenn auch nur unscheinbar und schattenhaft die genannte Zeit überdauert habe und die mittelalterliche Städtefreiheit nur eine unmittelbare Fortsetzung der altrömischen sei. Zu der letzteren Ansicht hat unter Anderem der Umstand verführt, dass die freien Städte des Mittelalters für ihre Institutionen römische Namen adoptirten. So stehen auch an der Spitze des mittelalterlichen Genua, wie wir sehen werden, Consules, die mittelalterlichen Chronisten sprechen von

1) Gruter, inscr. p. 1019. nr. 10. Giornale ligustico anno II. fasc. 3.

dem Senatus der Stadt 1) und sogar der für das römische Municipium specifische Name des ordo decurionum" erscheint noch im 13. Jahrhundert bei den Fortsetzern des Caffaro (a. a. 1264 etc.). Aber nicht immer lässt sich aus der Identität der Namen welche hier zudem nicht ganz zutrifft, da an der Spitze des römimischen Municipiums nicht Consuln, sondern Duumvirn standen auf die Identität der Sache schliessen. Vergleiche man nur das römische Municipium und die mittelalterliche freie Stadt, man wird den grossen Unterschied beider nicht übersehen können, man wird finden, dass die Aehnlichkeit sich auf die allgemeinsten Verfassungsformen, welche zum Wesen jeder freien Stadt gehören, und auf jene klassischen Namen reducirt, deren Adoption für die mittelalterliche Stadt sich so leicht erklärt aus den klassischen Erinnerungen, welche in Italien wie in keinem andern Land durch das ganze Mittelalter hindurch, auch durch dessen barbarischste Zeiten immer wach blieben. Vergegenwärtige man sich nur die geschichtlichen Verhältnisse, unter welchen das römische Municipium fortbestanden haben soll bis zum Mittelalter. Schon der Alles nivellirende Despotismus der römischen Kaiser konnte von der localen Freiheit der italienischen Städte nichts übrig lassen, als einen ärmlichen Schatten und illusorische Namen. Auf die Kaiserzeit folgte die Herrschaft der deutschen Stämme; die Longobarden nahmen den Römern schon einen guten Theil ihrer persönlichen Freiheit, und das Walten ihrer duces, gastaldi, judices in den römischen Städten liess der Municipalfreiheit, wenn sie je dieselbe noch daselbst angetroffen hätten, keinen Spielraum. Endlich die Einverleibung Ober- und Mittelitaliens in die fränkische Monarchie, welche Italien mit einem Netz von Grafschaften überzog, deren Mittelpunkt die Städte waren, und der im Gefolge der fränkischen Herrschaft einreissende Feudalismus, welcher den Associationen freier Bürger gewiss nicht günstig war. Wahrhaftig es wäre ein Wunder, wenn die alte städtische Freiheit durch all Das sich hindurchgerettet hätte.

Aber, müssen wir fragen, ist denn auch die städtische Frei

1) Z. B. Caffaro a. a. 1163. Obert. Cancell. a. a. 1164. Ottobon. Scriba a. a. 1188.

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