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scheinbare Widerspruch findet seine Erklärung in der gänzlich veränderten Beschaffenheit unserer Encyklopädien im Vergleich mit denen unserer Vorfahren.

Unsere heutige Zeit hat es zu einer wahren Virtuosität darin gebracht, auf wenigen Blättern viel zu bieten; die Conversationslexika von Brockhaus und Meyer, das Handwörterbuch der Staatswissenschaften, um nur ein paar deutsche Erscheinungen zu nennen, haben einen grossen Kreis von Mitarbeitern, die, nach einheitlichem Plane arbeitend, eine Raumersparniss erzielen, unbeschadet der inhaltlichen Vollständigkeit, die staunenswerth ist. Und derartige encyklopädische Werke haben wir heute in allen Cultursprachen und auf allen Litteraturgebieten, in der Theologie, Medicin und Rechtswissenschaft, wie in der Landwirthschaft, Technik u. s. w. Der Fachmann ist in der Lage, durch die Anschaffung eines solchen Sammelwerkes eine ganze Bibliothek einzelner Werke entbehren zu können. Dieser Umstand hat die heutigen encyklopädischen Unternehmungen zu so hoher Blüthe ent

wickelt.

Die früheren umfangreichen Werke sind deshalb keineswegs werthlos geworden, aber man sucht sie nicht mehr so wie früher, es sind die grossen öffentlichen Bibliotheken, oder einzelne reiche Gelehrte, oder Liebhaber, die darauf fahnden, oder Händler, die sie aus Spekulation kaufen. Es ist ganz interessant, wie die Gelehrten-Bibliotheken unserer Zeit auch äusserlich ganz verschieden sind von denen der früheren Jahrhunderte. Vor zweihundert Jahren erschienen reichlich so viele Werke in Folio wie in Quartformat, die Octavausgaben verschwanden daneben numerisch. Im vorigen Jahrhundert erschienen schon weniger Folianten als Quartanten, und in unserm Jahrhundert nehmen die Folianten nur noch ein ganz bescheidenes Plätzchen ein, weitaus dominiren die Octavausgaben, und den Hauptwerth in jeder Bibliothek bilden heute die sorgfältig zusammengehaltenen Monographien.

Unabhängig aber von diesen hier angedeuteten allgemeinen Ursachen, welche so grossen Einfluss auf den

Werth der Bücher haben, giebt es doch noch eine ganze Reihe specieller, nicht minder gewichtiger Gründe, nach welchen sich die bibliographische Seltenheit der Bücher beurtheilen lässt. Diesen speciellen Ursachen nachzuforschen, soll meine Aufgabe sein. Bevor ich jedoch in diese Untersuchungen der Gesichtspunkte, welche für Bibliophilen und Bibliomanen maassgebend sind, eintrete, scheint es mir zweckmässig für das Verständniss derjenigen zu sein, welche mit der Materie nicht vertraut sind, einen kurzen Ueberblick über die Entwickelung der Buchdruckerkunst zu geben. Ich beabsichtige nicht, eine erschöpfende Darstellung der Erfindung der Buchdruckerkunst zu versuchen, denn es existirt wohl keine andere menschliche Erfindung, über die so viel schon geschrieben wäre, wie über die Erfindung der Buchdruckerkunst, und ich möchte es nicht unternehmen, etwas Neues darüber sagen zu wollen. Aber es giebt gewisse Momente in der Entwickelungsgeschichte des Buchdrucks und des Buchhandels, die derjenige kennen muss, der das Wesen der heutigen Bibliophilie und Bibliomanie verstehen will. Und deshalb werde ich ganz kurz nur dasjenige hervorheben, nur von den wenigen berühmten Druckern sprechen, und nur die berühmteren Ausgaben kennzeichnen, soweit sie für die Bücherliebhaberei in Betracht kommen. Auf der so gewonnenen geschichtlichen Grundlage wird es leicht sein, für die sich daran schliessende weitere Darstellung ein richtiges Verständniss zu finden.

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Geschichtliche Grundlagen.

er Rahmen dieser Abhandlung erfordert eine Beschränkung auf die Erzeugnisse der Buchdruckerkunst, ausgeschlossen ist demnach das Bücherwesen des Alterthums wie des Mittelalters, wie entwickelt auch zu jenen Zeiten das Handschriftenwesen bereits war. Dagegen lässt sich die Erwähnung der Holztafeldrucke, der Xylographa, als der unmittelbaren Vorläufer der Typographie nicht umgehen. In der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts war es schon vielfach gebräuchlich, Holzplatten in der Grösse der Bücher derartig mit dem Messer oder Stichel zu bearbeiten, dass man entweder die Zeichnungen oder den Text tief eingrub, oder die Drucklinien erhaben stehen liess, und deren Umgebung hinwegstach. Als frühestes mit Jahreszahl versehenes Erzeugniss solcher Holztafeldrucke kennt man einen grossen Christoph (eine bildliche Darstellung des heiligen Christoph, welcher das Jesuskind auf der Schulter durch das Meer trägt, darunter eine auf das Bild bezügliche Inschrift mit Jahreszahl) vom Jahre 1423, welchen der berühmte Kunsthistoriker von Heinecken in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Bibliothek der ehemaligen Karthause Burheim bei Memmingen, auf die Innenseite der hinteren Decke einer Handschrift vom Jahre 1417 (Laus Virginis) geklebt aufgefunden hat. Ob diese Drucke mit Hilfe einer Presse erzeugt, oder vermittelst eines Reibers hergestellt waren, hat sich mit Ge

wissheit nicht feststellen lassen. Von den Büchern, welche als Holztafeldrucke ohne Abbildungen gedruckt worden, sind die bekanntesten die sogenannten „Donate", die damals beliebtesten Schulbücher, ein kurzer Auszug in Fibelform aus der Sprachlehre des römischen Grammatikers Aelius Donatus. Auf einen solchen Donatus hat man in Holland lange den Anspruch auf die Priorität der Erfindung der Buchdruckerkunst gegründet, indem man behauptete, Coster in Haarlem habe lange vor Gutenberg einen Donatus mit beweglichen Lettern gedruckt. Doch ist nirgends erwiesen, dass der Druck dieser an vielen Orten gebräuchlichen Donate längere Zeit schon vor Gutenberg stattgefunden habe, während feststeht, dass man sich der Holztafeln noch lange nach Erfindung der beweglichen Typen bediente. Man scheint sogar von typographisch hergestellten Donaten Ueberdrucke auf Holz gemacht, und die Platten dann nach diesen geschnitten zu haben, ähnlich unserm heutigen Stereotyp-Verfahren, was schon damals den. Druckern manche Vortheile gewährte. Die meist einseitigen Blätter der Holztafeldrucke pflegte man mit den leeren Seiten an einander zu kleben, doch existiren auch aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts doppelseitige Tafeldrucke. Nachweislich kommen Xylographa bis 1475, 1482, ja sogar noch 1504 vor. In jener Zeit, wo der Buchdrucker auch sein eigener Schriftgiesser sein musste, und es dem Formschneider wohlfeiler zu stehen kam, ein einzelnes kleines Buch in Holztafeln anzufertigen, als sich deshalb eine Buchdrucker-Werkstatt anzuschaffen, darf eine so späte Anwendung des Holzdrucks auf Schrift nicht befremden. Falkenstein giebt in seiner vortrefflichen „Geschichte der Buchdruckerkunst" eine genaue Beschreibung von 30 der hervorragendsten Holztafeldrucke, begleitet von Facsimile-Abdrücken der Abbildungen, welche den Werken beigefügt sind. Es ergiebt sich daraus nicht nur die hohe Bedeutung dieser Werke für die damalige Zeit, sondern auch die hochentwickelte Technik dieses Druck-Verfahrens, das ja eigentlich mit zwingender Consequenz auf das Drucken mit beweglichen Lettern hinführen musste. Der

Ruhm, den letzten entscheidenden Schritt zu diesem Verfahren gethan zu haben, gebührt Gutenberg. Doch ist ihm dieser Schritt nicht leicht geworden, und er hat das Loos so vieler Erfinder theilen müssen, selbst von der Erfindung wenig Nutzen gezogen, und wenig Freude daran gehabt zu haben. Johannes Gutenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst, stammt aus dem Geschlecht der Mainzer PatrizierFamilie Gensfleisch, die sich bis Ende des dreizehnten Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Man nimmt an, dass er 1400 (nach Anderen 1398) in Mainz geboren wurde. Von seiner Jugend weiss man nichts. 1420 war er in Folge eines in der Stadt ausgebrochenen Aufstandes gezwungen zu fliehen. Wo er die folgenden vierzehn Jahre zugebracht, ist nicht bekannt, sein Name taucht zuerst wieder 1434 in Strassburg auf, wo er sich nachweislich zwei Jahre darauf mit dem Schneiden von Edelsteinen und dem Schleifen von Spiegeln beschäftigte. Im Jahre 1436 schloss er mit Johann Riffe einen Vertrag zum Betriebe einer „geheimen Kunst", in welche Gesellschaft dann noch Andreas Dritzehn und Anton Heilmann aufgenommen wurden. Diese geheime Kunst war die Buchdruckerkunst, wie sich bald ergab. Denn als nach Dritzehn's Tode im Jahre 1438 die Gesellschaft aufgelöst wurde, verlangten dessen Brüder Georg und Claus von Gutenberg, dass er sie entweder als Gesellschafter aufnehmen, oder ihnen eine Abstandssumme von 100 Gulden zahlen solle. Es kam zum Prozess, im Verlauf dessen eine Menge von Zeugen vernommen wurde, der damit endigte, dass Gutenberg den Erben Dritzehn's 15 Gulden herauszahlen musste. Bei diesen ZeugenVernehmungen finden die Kunst des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, und die Ausdrücke „Pressen", "Formen" und „Drucke“ zuerst und wiederholte Erwähnung. Dieser wichtige Umstand war bis 1745 unbekannt geblieben, in welchem Jahre Wenkler und Schöpflin in dem alten „Pfennigthurm" in Strassburg die Prozessakten entdeckten. Der Text dieser Akten ist von Schöpflin in seinem Werke „Vindiciae typographicae" veröffentlicht. Dieser wichtige Text ist dann von

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