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SERAPEUM.

eitschrift

für

Bibliothek wissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Litteratur.

Im Vereine mit Bibliothekaren und Litteraturfreunden

No 1.

herausgegeben

von

Dr. Robert Naumann.

Leipzig, den 15. Januar 1842.

Die Bibliothek der Benedictiner-Abtei Reichenau. (Vgl. Literatur der europäischen öffentlichen Bibliotheken S. 193-194.) Während die Schicksale der Bibliotheken zu Fulda, Bergen und einiger andern Klöster Deutschlands der Gegenstand besonderer Abhandlungen geworden sind, haben die der Abtei Reichenau bisher nur den Stoff zu gelegentlicher Besprechung gegeben. Geschichtschreiber des Klosters, so wie Reisende, welche dasselbe besucht und die Ueberreste seiner einstigen Grösse bewundert haben, handeln mehr oder weniger auch von ihr; und selbst unsere Nachbarn jenseits des Rheins gewähren ihr einen Platz in ihrer Literaturgeschichte.1) Wer aber die Nachrichten dieser Schriftsteller vereint kennen lernen wollte, um aus ihnen ein vollständiges Bild von derselben sich zu entwerfen, wäre genöthigt, dieselben einzeln nachzuschlagen und zu vergleichen. Der neueste Geschichtschreiber dieser Abtei 2) hat zwar durch Benutzung ungedruckter Quellen, namentlich der Chronik des Ohem, sich das unbestreitbare Verdienst erworben, auch die Nachrichten über die Entstehung und allmälige Vergrösserung dieser Sammlung bedeutend zu vervollständigen, und seine Glaubwürdigkeit ist

1) Histoire lit. de France T. IV. P. 237.

2) O. F. H. Schönhuth, Chronik des ehemaligen Klosters Reichenau. Ein Beitrag zur schwäbischen Geschichte aus handschriftl. Quellen dargestellt. Freiburg 1836. 8.

IIL Jahrgang.

1

um so unzweifelhafter, als er seine Quellen in der Regel wörtlich anführt. Allein leider übergeht er die späteren Schicksale in den drei letzten Jahrhunderten fast ganz mit Stillschweigen, und so vermag auch sein Werk die Stelle einer Monographie nicht zu ersetzen. Indem ich nun unter diesen Umständen es nicht für unzweckmässig halte, in nachfolgender Darstellung diese Nachrichten möglichst zu einem Ganzen zu vereinigen, glaube ich dabei unbedenklich, wenigstens für die frühere Zeit, dem Schönhuth'schen Werke hauptsächlich folgen zu dürfen, zumal da die Einsicht in jene ungedruckten Quellen mir nicht vergönnt gewesen ist; 1) für die spätere Zeit aber werde ich das, was Ziegelbauer, Mabillon, Gerbert und Andere berichten, an die Stelle fehlender historischer Berichterstatter setzen. Freilich erforderte eine vollständige Monographie auch den unverkürzten Abdruck der reichhaltigen Handschriftenverzeichnisse, welche in nicht geringer Anzahl, hauptsächlich aus der Blüthezeit dieser Bibliothek, ein glücklicher Zufall uns erhalten hat; allein die Beschränktheit des Raumes verbietet dieses, und ich muss mich daher mit einigen gelegentlichen Anführungen und Auszügen begnügen.

Man kann mit Grund die ersten Anfänge dieser Bibliothek als gleichzeitig mit der Stiftung des Klosters selbst in das Jahr 724 setzen. 2) Pirminius, der erste Abt desselben, brachte von Pfungen, wo er sich bisher aufgehalten hatte, Bücher mit, und da er selbst ein Mann von wissenschaftlicher Bildung war, so lässt sich annehmen, dass er für die Vermehrung derselben nicht unbesorgt gewesen sein werde. Unter seinem Nachfolger Etto (727-732) wurde zuerst, einer Nachricht zufolge, eine öffentliche Schule gegründet, welche in kurzer Zeit sich durch einen nicht geringen Zusammenfluss von Lernbegierigen bedeutend hob. Dieser Umstand konnte nur von günstigem Einflusse auf die Bibliothek sein, denn während Etto aus Eifer, Gelehrsamkeit zu fördern, von seiner Seite auf Vermehrung derselben sehen musste, fehlte es gewiss nicht an Schülern, welche bei ihrem Eintritt_und später Geschenke dieser Art dem Kloster darbrachten. Zwar mögen mehrere derselben in andere Klöster gekommen sein, gewiss aber blieb der grössere Theil zurück. Als, nach der blos zweijährigen Regierung des dritten Abts Keba, Erenfried (735-746) an dessen Stelle gekommen war, erhielt die

1) Dass ich dasselbe oft wörtlich excerpire, ohne es jedesmal wieder zu citiren, wird man mir hoffentlich nicht übel auslegen. Hinsichtlich der Anordnung des Stoffes bin ich häufig von ihm abgewichen.

2) Wenn ich in meiner Literatur Europäischer Bibliotheken (S.193) das Jahr 779 als Gründungsjahr der Bibliothek angegeben habe, so bin ich dazu durch die Angabe irgend eines Schriftstellers verleitet worden, und will hiermit gleich meinen Irrthum berichtigen. Die Schönhuth'sche Schrift war mir damals nur dem Titel nach bekannt.

Bibliothek wiederum einigen Zuwachs, indem dieser bei Annäherung seines Todes einige Bücher, welche wahrscheinlich unter seiner Aufsicht von den Mönchen geschrieben worden waren, dem Kloster hinterliess. Der folgende Abt Sidonius, (746-760) welcher sich den Ruf eines gegen das Kloster übelgesinnten Vorstehers zuzog, eignete sich diese Bücher selbst zu, und erst dessen Nachfolger Johannes (760-781) stellte sie, mit einigen andern vermehrt, kurz vor seinem Tode dem Convente wieder zu. Unter dem nächsten Abt Petrus (751-786) erlitt die Bibliothek einen sehr empfindlichen Verlust. Auf einer Reise nach Rom hatte er daselbst einen Psalter nach der Uebersetzung der Siebziger zum Geschenk erhalten, und brachte ihn mit sich in sein Kloster. Kaum hatte Egino, welcher ein Jahr darauf zum Bischof von Konstanz erwählt wurde, dieses erfahren, als er sich vom Abt und Convent den Codex nebst andern Büchern, welche Johannes hinterlassen hatte, zur Benutzung erbat. Unter der Bedingung, dass Kerbald, der Graf, für die Zurückgabe der Bücher, wenn sie abgeschrieben worden wären, sich verbürgte, willigte man ein; allein der Bischof hielt nicht Wort, und so ging die ganze Sendung, worunter sich Bücher, welche ein Sachse, Namens Ehefried, in altsächsischer Sprache abgefasst hatte, auf immer verloren. Unter Petrus Nachfolger, Waldo (787 -813) beginnt die eigentliche Blüthezeit sowohl für die Schule als für die Bibliothek in Reichenau. Der Chronist Ohem hat uns manches darüber aufbewahrt. Damals sandte Vadileoz, der Bruder Bischof Hatto's von Basel, aus dem Kloster St. Martin zu Tours viele Bücher, deren Namen den Laien unverständlich zu lesen kein Kurzweil brächte." Ferner, fährt Ohem fort, kam in dieser Zeit Lampertus, ein Bischof von Wälschland, in die Au, der war ein guter Bruder, brachte mit ihm viel Bücher, und andere Kleinod. Zu den Zeiten kam aus Sachsen Hatrikus, ein Bischof, der brachte mit ihm viel Bücher und andere Schätze, die er dem Kloster überliess. Fritmund, ein Bruder Ello's von Altha, kam in die Au, war da ein Bruder, bracht auch etliche Bücher mit ihm. Homann hatte ein Messbuch, das Pfaff Hildemar zu Ermatingen behielt. Monachus, der Priester, überkam auch etliche Bücher. Theodast, ein Bruder und Kellerherr, hatte auch etliche Bücher mit ihm gebracht. Angser, ein Priester, kam in die Au; er brachte mit ihm einen guten Kelch und Pater; und auch etliche Bücher. Frau Ata, Herrn Adelharts von Stein Gemahl, schickte in die Au ein Messbuch, ganz und gar mit Silber beschlagen und verdeckt; dasselbig beschlagen Silber nahm Ambicho, Decan, von dem Messbuch und beschlug damit ein Evangelien- und ein Epistel-Buch, die man dann täglich zu dem Amt brauchte. Das Messbuch und viel andre Bücher wurden verloren. Prumic, Ello, Hatto, Cra

halich, Adam, Hildimar, Sigimar, Framurus, Priester und Brüder, haben alle Bücher in die Reichenau gebracht. 1)

Während auf diese Weise die Bibliothek durch fromme Spenden stets sich mehrte, scheute Waldo selbst weder Kosten noch Arbeit, um Bücher herbeizuschaffen. Schon als Bischof von Pavia war er in den Besitz mehrerer gekommen. Besonders muss sich ein Antiphonar ausgezeichnet haben, welches er von der Königin Berthruda, Pipin's Gemahlin, zum Geschenk bekommen hatte. Auch liess er sich zu seinem eigenen Gebrauche manches Buch schreiben. Ohem kannte noch den Inhalt aller dieser Bücher, führt sie aber, um kurz zu bleiben, nicht an. Waldo's Nachfolger, Hatto (S06-822), welcher selbst Gelehrter und Schriftsteller war, trug ebenfalls zur Vermehrung der Bibliothek bei. Nach Ohem überliess er,,alle seine Bücher vor und nach dem Bisthum erobert und überkommen," dem Gotteshaus. Unter ihm kamen auch viele treffliche Männer in das Kloster, welche viele Bücher mit sich brachten. Ohem macht zwar nicht die letzteren, wohl aber die ersteren namhaft. Sie hiessen: Rantfried, Elippo, Priester, Sahso Bruder, Vadahard Evangelier, Cunzo Bruder, Matthäus Evangelier, Lutold Evangelier, Matthai Gesell, Lantold Evangelier und Bruder hie, Wolfrede, Gerolf, Drucheri, Kerold der Grössere, Ruapot, Herirat, Drumond, sämmtlich Priester, Theoding Mönch, Titto, Kebicheri, Ratheri, ebenfalls Priester.2)

Vielleicht in noch höherem Grade erwarb sich Hatto's Nachfolger, Erlebald (~22-838), um die Bibliothek Verdienste, durch Einverleibung von Handschriften, welche theils auf seinen Befehl durch die Mönche geschrieben wurden, theils aus seinem Privatbesitz dahin gelangten. Wir kennen noch das Verzeichniss derselben, welches zusammen 45 Werke zählt. Auch durch Geschenke wurde unter seiner Regierung die Bibliothek bereichert, welche theilweise durch Ohem und durch Reginbert's unten genauer zu bezeichnende Kataloge bekannt geworden sind. So brachten die Priester Uragrath das Werk des Priscian de arte grammaticae, Machelm ein Lectionar, Boldmann des h. Augustins quaestiones vet. et nov. testamenti, Engilpreth ein Messbuch und 40 Homilien Gregors, nebst einem Psalter und einem Antiphonar, Salomon ein Messbuch, Lectionar und Antiphonar, Scrutolf ein Messbuch und Psalter, Drudmann ein Antiphonar, Ileimo ein Messbuch und Lectionar, Wolfmann hinterliess ein Messbuch, ein Antiphonar, eine Regel und ein Gesetz der Alemannen, Othpreth und Windheri, jeder ein Messbuch nebst Lectionar, Letzterer zugleich eine Regel und das Leben der Väter in

1) S. Ohem bei Schönhuth S. 19-20.

2) Ebend. S. 36.

einem Bande, Keidolf einen Psalter, Peräthger ein Messbuch, Adalgir liess sich ein Messbuch schreiben, desgleichen der Diacon Woldfregi und der Priester Otfried. Noterim liess sich zwei Psalterien schreiben, Eto kaufte sich deren zwei, der Priester (nachherige Abt) Ruadhelm schrieb sich ein Messbuch, der Priester Wito hinterliess eins zur Hälfte geschrieben, welches Ruadhelm vollendete und dem Kloster schenkte. Hunzo, der Priester, gab ein Lectionar und die Geschichte des Josephus u. s. w, in einem Bande. Hilliger brachte aus Italien mit das Buch der Propheten.

Auf Erlebald folgte Ruadhelm (838-842), während dessen kurzer Regierung sich die meisten Talente heranbildeten, welche den wissenschaftlichen Ruhm der Reichenau auf den höchsten Gipfel erhoben. Schon Ohem berichtet von ihm, er habe,,besonderliche Lieb zu den Büchern gehabt, etliche selbs geschrieben, etwa viel vor der Würde, etliche nachhin überkommen. Unter ihm seyn fast viel Bücher durch die Brüder erobert; es kamen auch zu seinen Zeiten viel ehrlich Männer mit mancherley Büchern, bei und unter ihm Gott zu dienen." Ohem führt nur einige als die wichtigsten auf: ,,Buntwit, Priester allhie und Meister der Schul, überkam die History der alten und neuen Eh (des A. u. N. Testaments), die er auf der Schul zu bleiben begehrt; danach ward er auf Heissen der Väter in die Zellen Hattonis gen Oberzell verordnet, da machet er ein ander History, die begehrt (er) daselbst bleiben zu lassen. 1)" Dass auch unter Ruadhelm mehrere Werke für die Bibliothek abgeschrieben wurden, bezeugt das noch vorhandene Verzeichniss desselben, welches deren 9 anführt, worunter Vitruv's Werk über Arithmetik, Cassiodor's Institutionen u. s. w.

Wenn schon der Umstand, dass diese vier auf einander folgenden Aebte von gleichem Geiste und gleichem Eifer für Vermehrung der literärischen Schätze ihres Klosters beseelt waren, als eine besondere Fügung des Schicksals betrachtet werden kann, so erscheint gewiss in gleichem Lichte die Gleichzeitigkeit eines ihrer Untergebenen, welcher durch seine unermüdliche Thätigkeit zum Besten der Bibliothek gerechte Ansprüche auf eine besondere Erwähnung an diesem Orte des Reginbert. Leider sind die Nachrichten über seine Lebensverhältnisse äusserst spärlich, und beschränken sich darauf, dass er Abschreiber, Vorsteher der Schule und wenigstens 26 Jahre lang Bibliothekar des Klosters war, wo er auch am 9. Mai 846 starb.2) Aus einem dreifachen Gesichts

hat

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1) Ohem bei Schönhuth S. 47-48.

2) Die Hauptquelle über ihn bleibt wohl Eginonis Liber de viris illustr. Angiae Divitis bei Petz, Thesaurus Anecdotorum Noviss. T. I. P. HI. p. 654-656.

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