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thum wie in der Neuzeit sich gleichbleibende Standpunkte philosophischer Speculation hervor: 1) der objective, 2) der subjective, 3) der Identitässtandpunkt. Jener reicht im Alterthum von den Joniern bis zu den Sophisten, in der Neuzeit, wo er mit den scholischen Naturphilosophen beginnt, bis zum systême de la nature, und hat Baur zum wissenschaftlichen Hauptbegründer. Je doch läuft ihm hier „von andern Unterschieden zu schweigen“, der subjective parallel", der Cart fius zum Hauptbegründer hat und bis zum Spinozistischen Pantheismus und Leibniz'schen Individualismus reichen soll. Der zweite Standpunkt umfaßt im Alter. thum die Zeit von den Sophisten bis zu den Neuplatonikern exclusive; in der Neuzeit von Hume bis J. G. Fichte inclusive. Der dritte endlich begreift im Alterthum die Neuplatoniker, in der Neuzeit, wie sich von selbst versteht, Schelling und Hegel. Herbart hat sich, wie es scheint, nicht recht unterbringen lassen. Wir erfahren in Bezug auf ihn bloß, daß sich sein individueller Realismus „ähn. lich zum Spinozistischen Vantheismus verhalte wie die Atomisten zu den Eleaten" (S. 74). Aber auch Hegel ergeht es nicht viel besser. Er hat zwar „einige Aehnlichkeit“ mit den Reuplatonikern, mit denen ihn der Verfasser zusammenstellt, aber ebensoviel oder noch mehr mit Heraklit“ (S. 72), den der Verfasser in die erste Periode stellt. Durchdringende Schärfe zeigt daher des Verfassers Parallelismus nicht; sein Bemühen, die Philosophie auf die Bahnen des Kriticismus zurückzulenten, ist aber immerhin ver dienstlich.

Rosenkrant, Dr. Wilh., Assessor, die Wissenschaft des Wissens und Begründung der besonderen Wissenschaften durch die allgemeine Wissenschaft, eine Fortbildung der deutschen Philoforbie mit befonderer Rücksicht auf Plato, Aristoteles und die Scholastik des Mittelalters. 1. Band. München, 1866. Weiß. (XXVIII, 479 S. gr. 8.) 1 Thlr. 22 Sgr.

Die Wissenschaft des Wissens, gewöhnlich Theorie der Erkennt. niß genannt, ist für den Verfasser nicht eine Vorbereitung auf die Philosophie, sondern diese selbst. Denn da die Philosophie als die höchste und allgemeine Wissenschaft keinen besonderen Gegenstand für sich in Anspruch nehmen könne, jeder Gegenstand aber, welchen das Wissen außer sich finde, ihr gegenüber als ein besonderer er. scheine, so könne der allgemeinste Gegenstand nur das Wissen selbst sein und die allgemeinste Wissenschaft in nichts Anderem bestehen. als in der Wissenschaft des Wissens (S. 22). Dieses Wissen des Wissens ist aber zugleich die nothwendige Bedingung des Wissens um das Sein oder weiterhin um das, was „hinter dem Sein“ liegt. Denn da alles Erkennen in einer Ausgleichung und Ueberwindung des Gegensatzes zwischen dem Seienden und dem Vorstellen bestehe, so müsse die Philosophie, um den Schlüssel zum Verständniß des Seienden zu erlangen, vor allem sich zur Wissenschaft des Wissens gestalten (S. 43). Das Buch unternimmt daher, in der Theorie des Bewußtseins und der Erkenntniß zugleich den Aufschluß über die Urgründe des Seienden zu geben; die Art, wie dies Unternehmen ausgeführt wird, läßt sich den sehr ausführlichen Deduc. tionen desselben gegenüber hier nur in den äußersten Umrissen andeuten. Zuvörderst muß erwähnt werden, daß Säße, wie: das Allgemeine ist der Grund der Möglichkeit des Besonderen; die der Vielheit des Einzelnen zu Grunde liegende Einheit, welche als das Eine, Algemeine den Grund der Möglichkeit alles Besondern enthält, ist uns in der Wirklichkeit mit dem Einzelnen gegeben; der Grund des Werdens ist das Vermögen zum Sein; jede Entwickelung im Uebergang vom Vermögen zur Wirklichkeit (a potentia ad actum) und ähnliche, für den Verfasser selbstverständliche Ariome find. Um das absolut Allgemeine und damit das absolute und unbedingte Wissen zu finden, hat sich das Denken vom Beson. deren zum Allgemeinen zu bewegen; diesen Weg nennt der Verfasser den analytischen, inductiven, speculativen; die Ableitung des Besondern aus dem Allgemeinen dagegen das synthetische, constructive, deductive Verfahren; und die Aufgabe dieses ersten Theils

ist, die in der wirklichen Vielheit schon mitgegebene Einheit aufzu. suchen, und so mit dem Gipfel des unbedingten Wissens zugleich den Urgrund alles Seins zu erreichen, während der zweite Theil den Leser von dieser Höhe abwärts zur Begründung der besonderen Wissenschaften führen wird. Diese „Analytik des Wissens" beginnt mit dem Saze, daß, da alles Wissen die Einheit des Subjects und Objects in der Vorstellung sei, es zwar wesentlich auf dem Ver. mögen der freien Selbstbestimmung im Subjecte beruhe, anderer. seits aber darauf, daß alle Objecte, um wißbar zu sein, mit dem Subjecte durch eine gemeinschaftliche Ursache bestimmt sein müssen. Den Leitfaden für die Auffindung dieser gemeinschaftlichen Ursache entnimmt der Verfasser der Unterscheidung des mittelbaren Wissens, welches er (äußere oder innere) Anschauung nennt, und des durch das Denken vermittelten Wissens. Die sehr ausführliche Erörte rung über die äußere Anichauung führt zu dem Saze, daß sie auf einer Wechselwirkung zwischen dem Subjecte und dem Objecte beruhe. Unter innerer Anschauung versteht der Verfasser die solcher Objecte, welche das Subject in sich selbst vorfindet und welche nur aus seiner eigenen Thätigkeit entsprungen sein können. Hier ist die freie Thätigkeit selbst die Quelle von Objecten; als frei ist ste unendlich; würde sie aber nicht zugleich beschränkt, so käme es zu feinem Producte der inneren Anschauung; folglich muß im Sub. jecte eine der Begrenzung unterliegende bestimmbare und eine begrenzende, bestimmende Thätigkeit liegen, und, da es „unbegreiflich wäre, wie diese beiden Thätigkeiten jemals dazu kommen sollten, sich zu einem Producte zu vereinigen, wenn sie nicht durch eine dritte Thätigkeit mit einander verbunden wären,“ so liegt im Sub. jecte auch diese dritte, verbindende, synthetische Thätigkeit. „Durch diese drei Thätigkeiten beherrscht das Subject sein ganzes Gebiet, aus ihnen müssen sich alle Erscheinungen des geistigen Lebens erklären lassen“ (S. 238). Hiermit und mit der Bezeichnung der drei Thätigkeiten durch + Th— Th und Th betritt der Verfasser eine Bahn, auf welcher wandeln zu können zu der Zeit, als Schelling's System des transscendentalen Jdealismus und Entwurf eines Systems der Naturphilosophie erschienen war, für sehr tiefsinnig galt. Die Producte dieser drei Thätigkeiten sind theils das Selbstbewußtsein, theils die Gedankenwelt; die leßtere umfaßt die reproductiven Bilder, die Begriffe und die Ideen. Die Ideen sind „solche Producte der eigenen freien Denkthätigkeit, denen in der äußeren Anschauung nichts entspricht, bei welchen wir uns aber durch eine gewisse Nothwendigkeit in der Art gebunden füh len, daß wir nicht umhin können, einen von unserm Denken unab hängigen Grund hinzuzunehmen und solchen Vorstellungen geradezu selbst eine objective Wirklichkeit beizulegen" (S. 282). Also nicht die Frage, ob die Ideen eine objective Wirklichkeit ausdrücken, sondern wie die lettere beschaffen, was ihre Ursachen seien, ist Gegenstand der Untersuchung. Der Verfasser findet nun, daß Alles, was uns in der Vorstellung objectiv wird, aus Bestimmungen be steht, welche sich auf drei Ursachen als ihre Elemente zurückführen lassen. Diese drei „allgemeinen Ursachen des objectiven Seins“ find 1) das bestimmbare Element, die Materie (die große allge. meine Mutter, welche alles objective Sein bereits im Keime, seiner Möglichkeit nach in sich trägt“), 2) das bestimmende Element, Form (die man deshalb aus ihren Wirkungen erkennen kann, weil die Wirkungen so beschaffen sein müssen, wie die Ursachen") und 3) das verbindende Element, welches von den beiden vorigen, als ihren Gegensaß aufhebend, verschieden, aber doch auch mit beiden Eins ist. Diese drei objectiven Elemente bilden als allgemeine Ursachen die lezten Bedingungen des objectiven Seins; aber noch nicht die allerleßten; denn „unter einander sind sie gegenseitig be dingt." Das wahrhaft Unbedingte ist also erst die wesentliche Einheit der drei Ursachen; diese Einheit ist dasjenige, bei welchem die Vernunft stehen bleiben kann und worüber hinauszugehen sie keinen Grund mehr findet. Referent kann dem Verfasser auf dem „andern Weg, den die Vernunft zur Erkenntniß vom Wesen des Unbeding. ten hat,” (S. 339 flg.) nicht folgen; genug, daß man nun weiß,

die

daß das Werden die Entstehung des bedingt Seienden aus dem unbedingten Sein durch die drei, die Möglichkeit alles Seienden enthaltenden, allgemeinen Ursachen, und daß die Einheit der drei Ursachen im unbedingt Seienden ein Vermögen desselben ist, das bedingt Seiende hervorzubringen. Aber eben darum, weil die Einheit immer noch nur dieses Vermögen ist, und obgleich „die Vernunft vorher keinen Grund mehr gefunden hatte, über die wesentliche Einheit der drei Ursachen hinauszugehen“, bedürfen wir, um die Trennung der drei Ursachen und die Art ihres Zusammenwirkens im Werden zu erklären, noch einer vierten Ursache, welche nicht mit ins Werden eingeht, sondern reine Ursache bleibt“ (S. 355); fie, die allerleßte und allerhöchste Ursache ist das „ver. mögende Subject, welches im unbedingt Seienden alle Macht befist, vollkommen freie und souveräne Ursache, an sich ewig unbestimmt und unbestimmbar, durch die ihr unterworfenen Mächte aber Alles wirkend und bestimmend, freier, absoluter Geist." Referent leistet darauf Verzicht, darauf einzugehen, wie der Verfasser von hier aus die „theologische, kosmologis he und ply hologische Idee“ entwickelt, d. h. welche Aufschlüsse er über das Wesen Gottes, die Entstehung der Welt, die Natur und die Bestimmung der Seele giebt das Mitaetheilte wird vielleicht einigermaßen erkennen laffen, in welcher Weise hier ein, wie man annehmen muß, sehr lebhaftes und vollkommen ehrliches Interesse an philosophischer Forschung mit Hülfe des Materials, welches Aristoteles und die Scholastik in Verbindung mit der ältern Identitätsphilosophie und der neuern Potenzenlehre Schelling's darbietet, sich über die lezten Gründe des Wissens und des Geschehens eine Rechenschaft zu geben bemüht gewesen ist. Es muß hinzugefügt werden, daß das Buch vollkommen nüchtern, in seiner Art gründlich und gewissenhaft geschrie. ben ist; überdies beurkundet der Verfasser mannigfaltige Etudien, 3. B. auch auf dem Gebiete der Physiologie, die er zur Bekämpfung des Materialismus verwerthet; endlich nimmt er bei der Darlegung seiner eigenen Gedanken fast durchgängig Rücksicht auf die Geschichte der Philosophie, namentlich auf Plato, Aristoteles, die Kirchenväter und die Scholastiker, deren Begriffsbestimmungen und Lehrjäße er, so oft sich Gelegenheit dazu darbietet, mit den seinigen vergleicht. Er beurkundet dabei eine große Belesenheit; nicht wenige der hierher gehörigen Anmerkungen enthalten lehrreiche Zusammenstellungen der scholastischen Lehrmeinungen.

Brandis, Christ. Aug., Handbuch der Geschichte der GriechischRömischen Philosophie. 3. Theils 2. Abth. Berlin, 1866. G. Reimer. (VIII, 652 S. gr. 8.) 2 Thlr. 221⁄2 Egr.

Stoiker (Seneca, Musonius Rufus, Epiktet und Marc Aurel) her. vorheben. Die Gründlichkeit und Verlässigkeit des Verfassers ist längst anerkannt, ebenso wie das Streben nach Verleugnung eines | philosophischen Standpunktes und die Enthaltsamkeit von eigener Kritik. Zu leugnen ist indeß nicht, daß die Darstellung hierdurch oft hart ans Excerpt streift.

Auch dieser Band ist noch nicht der lezte. Der hochverdiente Verfasser, welcher laut des Vorworts nur beabsichtigte, zur Ergăn. zung der zweiten Hälfte seiner Geschichte der Entwicklungen der griechischen Philosophie und ihrer Nachwirkungen im römischen Reiche (1864) einige überhaupt oder ihm besonders anziehende Partien weiter auszuführen, und mit diesen Ausführungen den letz-| ten Band seiner ausführlichen Geschichte der griechisch - römischen Philosophie abschließen zu können hoffte, ist über den Umfang ei nes mäßigen Bandes bereits hinausgegangen, und muß, um ihn nicht zu sehr anzuschwellen, eine Anzahl anderer Ausführungen fich noch vorbehalten. Er wünscht, daß es ihm gestattet sein möge, noch ein „Bändchen“ nachzutragen, das zugleich zu einem Inhalts. verzeichniß für das ganze Werk benußt werden soll. Da zugleich ,,Verbesserungen und Nachträge" in Aussicht gestellt werden, so wird es an Stoff zu einem neuen „mäßigen Bande“ nicht fehlen. Der vorliegende umfaßt die dritte Entwicklungsperiode der griechisch-römischen Philosophie in fünf Abschnitten, deren erster die epikureische, der zweite die stoische Schule, der dritte die Skeptiker, der vierte die Eklektik und Synkretistik, der fünfte und leßte den Neuplatonismus enthält. Dazu kommen,,Ausführungen" zum ersten, zum zweiten und theilweise zum vierten Abschnitte, unter denen wir die Darstellungen des Lucretius, dann der römischen |

Wecklein, Dr. N., die Sophisten und die Sophistik nach den Angaben Plato's. (Ein Theil einer gekrönten Preisschrift.) Würz burg, 1866. Stuber. (VIII, 104 S. gr. 8.) 18 gr.

Das begrenzte Ziel, das sich der Verfasser seßt, verfolgt er mit Fleiß und Gewissenhaftigkeit. Derselbe macht mit Recht aufmerf. sam, daß der von Plato gegen die Sophisten ausgesprochene Tadel nur beziehungsweise zu nehmen sei, und daß ihre Lehren oder An. schauungen im Gegensatz zu der idealen Plato's die gewöhnliche Anschauungsweise vertreten. Er scheint uns aber zu weit zu gehen, wenn er meint, man werde deshalb jene Angaben Plato's, aus denen man auf so verderbliche Lehren und öffentliche Vorträge der Sophisten über Staat und Recht geschlossen habe, anders beurtheilen. Es war Plato's offenbare Meinung, daß für Staat und Recht gerade nichts verderblicher sei als die gewöhnliche Anschauungs. weise", die den gewandten Volksredner zum Herrn des Volkes machte. Und die Dinge sahen damals und sehen heutzutage nicht darnach aus, daß man ihm hierin Unrecht geben könnte!

Geschichte.

1) Cam. Minieri Riccio: Brevi notizie intorno all' archivio Angioino di Napoli. Neapel, 1862 Detken. (XVI, 112 S. 8.) 2) Pasq. Placido: Illustrazione di tre diplomi bizantini del grande archivio di Napoli. Ebd. 1862. (48 S. 8.) 3) Gius. del Giudice: Codice diplomatico del regno di Carlo I e II d'Angiò. Parte I. Vol. I. 1265-1267. Ebd. 1863. (XLVIII, 320; LXXXII u. XXIV S. 4.)

Wenn wir hier zur Besprechung dreier schon vor einigen. Jahren in Neapel erschienenen Werke schreiten, so veranlaßt uns dazu einerseits ihr wissenschaftlicher Werth, andererseits der Umstand, daß dieselben auch bis heute über Italiens Grenzen hinaus noch wenig bekannt, geschweige denn nach Gebühr gewürdigt find. Nicht officielle Publicationen, wie die Monumenta, der Syllabus und die jüngst veröffentlichte Sammlung griechischer Urkunden, können sie sich doch an Bedeutung nicht nur mit jenen messen, sondern sie übertreffen dieselben in mehr als einer Beziehung. Denn während die in den Monumenta enthaltenen Urkunden und die griechischen Pergamente größtentheils Privatacten sind oder von Schenkungen an Kirchen und Klöster berichten, sind die in den vorliegenden Werken mitgetheilten sämmtlich von hohem historischen Werthe. Gewiß ein erfreuliches Zeichen des wiedererwachten, lang darniedergehaltenen wissenschaftlichen Sinnes, wenn neben den öffentlichen Instituten auch jezt Privatleute anfangen, zur Aufhellung der vaterländischen Geschichte nach besten Kräften beizutragen und aus lang verborgenen Quellen wichtiges Urkunden, Material ans Tageslicht zu fördern. Aber freilich fehlt es noch immer an dem rechten Zusammenwirken all der vielen und schönen Kräfte, die Neapel aufzuweisen hat. Jeder geht seinen eigenen Weg, ohne sich um den Mitstrebenden zu kümmern; und namentlich tritt die Eifersucht der öffentlichen Anstalten, welche allein das Monopol zu haben glauben, ihre Schäße zu verwerthen, solchen rühmlichen Bestrebungen der Einzelnen oft hemmend entgegen. Wir können uns dieses wenig tröstlichen Gedankens nicht erwehren, wenn wir einen Blick in die bedeutendste der vorliegenden Schrif. ten werfen, den von del Giudice angefangenen Codex diplomaticus zur Geschichte der beiden ersten Herrscher Neapels aus An. giovinischem Geschlecht. Der Herausgeber, selbst ein höherer Be. amter (Ispettore) des Neapolitanischen Archivs, hat sein Buch

ohne officielle Unterstüßung auf eigene Hand erscheinen lassen. Officiell war zwar schon längst beschlossen, die Urkunden aus der Zeit des Hauses Anjou zu veröffentlichen, und noch immer hegt man denselben Gedanken; neuerdings noch ward derselbe vielfach beleuchtet, die Bemühungen einzelner Beamten des Archivs um Abschreiben und Collationiren der Urkunden wurden gerühmt, ohne daß auch nur mit einer Silbe dabei erwähnt worden wäre, daß, während man noch fortwährend hin und her überlegte, del Giudice den säumigen Collegen längst zuvorgekommen. Der Plan, sämmtliche Angiovinische Urkunden zu ediren, so unausführbar er auch bei der Masse des in den Registri (allein 378 Bände), Fascicoli und Arche enthaltenen Materials Jedem beim ersten Blicke schon erscheinen muß, erschien doch einzelnen Beamten des Archivs, die vornehmlich sich mit paläographischen Studien über das Mittelalter befaßt, nicht so abenteuerlich, wie Herrn del Giudice. Eine besonnene Auswahl zu treffen, das historisch Werthvolle allein herauszuheben, schien ihnen nicht ausreichend zu sein. Daß aber bei einer solchen Fülle von Urkunden auch vieles unterläuft, was ganz werthlos ist, liegt auf der Hand; aber das wirklich Bedeutende von der Spreu zu sondern, war um so schwieriger, als nur sehr unvollständige Repertorien vorliegen, in denen man wohl über kirchliche und feudale Dinge genügende Auskunft findet, die wichtigsten historischen Thatsachen aber als abgethan oft mit Still. schweigen übergangen sind. Man begann damit, daß man die einzelnen Register (deren Signatur nach Jahren aber durchaus nicht immer dem wirklichen Inhalte entspricht) abschrieb, was troß des übergroßen Personals höchst langsam vorschritt kurz, man legte Hand an ein Werk, das, wenn nach diesen Principien fortgesetzt, kaum unsere Enkel je druckfertig sehen würden. Dem gegenüber forderte del Giudice eine vernünftige Beschränkung, die Veröffentlichung eines für die Geschichtsforschung wirklich ersprieß. lichen Codex diplomaticus nach deutschen Mustern. Eine Einigung erlaubte die Eifersucht nicht, und so entschloß er sich, zunächst, seinen Principien getreu, einen Band Urkunden herauszugeben, nachdem er bereits 1860 ein Heft, eine Art Prospectus, vorgelegt hatte. Bei der absoluten Unmöglichkeit, daß ein Einzelner sämmtliche Urkunden der Angiovinischen Zeit veröffentlichen und zugleich er läutern könne, beschränkte er sich weislich auf die Regierung Carl's I und Carl's II, auf die ersten 44 Jahre derselben (1265-1309). Der vorliegende Band umfaßt nur die Anfänge Carl's 1, wenig mehr als zwei Jahre, ist aber dafür in seiner Art eine ganz vorzügliche Arbeit. Schon die Einleitung, in der sich treffliche Nachrich. ten über das Archiv Neapels, mit zahlreichen ungedruckten Urkunden belegt, finden, contrastiert recht günstig gegen die dort gewöhnliche Art solcher Vorreden, die meist an neuen Thatsachen arm, desto mehr mit hochtrabenden Phrasen gespickt sind. Bei dem Codex diplomaticus hat der Herausgeber auch die bisher gedruckten Ur. kunden zur Geschichte Carl's I berücksichtigt und der Vollständigkeit wegen, soweit sie von historischem Werthe find, abdrucken lassen; ein Verfahren, das hier um so mehr zu billigen ist, als auch diese schon bekannten Actenstücke, gleich den übrigen, durch einen ebenso fleißigen wie umsichtigen Commentar erläutert sind. Lehterer ist gleichfalls hauptsächlich aus den Urkunden-Registern geschöpft und bringt großentheils noch weitere ungedruckte Documente in ganzer Ausführlichkeit. Nichts Ueberflüssiges begegnet uns hier, wie in den Anmerkungen zu dem officiell herausgegebenen Syllabus, in denen u. a. mit breitester Gelehrsamkeit entwickelt wird, was man unter Guelfen und Ghibellinen zu verstehen habe! Die Urkunden selbst, von denen nur ein Viertel der im Terte mitgetheilten bisher durch den Druck bekannt war, sind mit diplomatischer Genauigkeit wiedergegeben; sie werfen ein helles Licht auf die politischen Zustände Neapels, wie auf die diplomatischen Beziehungen Carl's, auf die innere Administration, Culturgeschichte, Handel und Ge. werbe u.f.f. Es folgen zwei Anhänge, von denen der eine eine Anzahl bisher unbekannter Urkunden zur Geschichte der Herzoge von Neapel und der Normannen (1053-1189) enthält und nament.

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lich über die griechischen Katapane das wichtigste Material liefert, der andere sich auf die Verwaltung der Provence durch Carl bezieht. Sind einzelne dieser Urkunden in späterer Zeit erneuert oder erweitert worden, so finden sich unter dem Tert die weitern Belegstellen, so über die Beziehungen der Angioviner zu Cunes (bis 1306), über die Fa. milie des Großadmirals Filippo Chirardo, Beherrschers von Korfu, die Universität Neapel, die Lage der Juden im Reiche, das Münzwesen u.s.w. Aus dem Angeführten kann man einen Schluß auf die Reichhaltigkeit des Buches, wie auf die Zweckmäßigkeit seiner Anordnung leicht ziehen. Zu bedauern wäre einzig, wenn die Ungunst der Verhältnisse die Fortsetzung dieser so werthvollen Arbeit in gleicher Weise nicht gestatten sollte. Hoffen wir daß dem Her. | ausgeber für die auf sein Buch verwandte redliche Mühe der gebührende Lohn werde, auf daß er Lust und Muth behalte, das begonnene Werf, das unter den Urkundensammlungen Italiens ohne Frage Epoche macht, rüstig zu fördern und zu vollenden.

Eine an Umfang weit kleinere Arbeit ist die von Minieri Riccio, der gleichfalls in der Einleitung gründliche Nachrichten über die Geschichte des neapolitanischen Archives liefert und dann aus den im Besiße des Verf. befindlichen sorgfältigen Repertorien des de Lallis vollständige Auszüge aus solchen Registern mittheilt, die heute nicht mehr existieren oder nur theilweise erhalten sind. So kurz auch meist diese Auszüge sind, so haben sie doch, da sie nicht bloß Namen enthalten, sondern über manche sonst unbekannte Thatsache theils Andeutungen geben, theils ausführlicher handeln, einen nicht geringen Werth. Auch dieses Buch ist selbständig entstanden; der Verfasser, Director der Schloßbibliothek in Neapel, hat zumeist aus seinen reichen Manuscripten geschöpft; seine früheren Studien im Archive hat er seiner politischen Gesinnung wegen, gleich del Giu dice, der auch erst unter der neuen Regierung rehabilitirt wurde, lange einstellen müssen, troßdem aber es sich stets treulich angelegen sein lassen, die Geschichte seines Landes zu fördern, wie denu seine Genealogia di Carlo I d'Angiò, bereits 1857 erschienen, nicht nur in genealogischer Beziehung reiche Aufklärung gewährt, sondern auch die eigentliche Geschichte Carl's I ebenso fleißig wie gründlich behandelt.

Die Schrift Placido's endlich befaßt sich mit drei griechischen Urkunden des Archivs, die ohne Frage zu den werthvollsten des selben gehören und auch in die neue, unter Herrn Trinchera's, Sopraintendente des Archivs, Leitung veranstaltete officielle Ausgabe sämmtlicher in Neapel liegenden griechischen Documente auf genommen sind. Aber während fast alle diese Actenstücke nur Privat-Angelegenheiten betreffen, daher auch, so wichtig fie immer. in paläographischer Beziehung und für die Geschichte der griechi schen Sprache in Unteritalien sind, doch historisch nur von unter geordneter Bedeutung sein können, liegen uns hier drei byzantinische Diplome aus den Jahren 1427, 1428 und 1450 vor, ausgestellt von dem Despoten des Peloponnesos Theodoros Palaeologos, dem Kaiser Joannes und dem Despoten Demetrios zu Gunsten des bekannten Philosophen Georgios Gemistos Plethon und seiner Söhne Demetrios und Andronikos. Wir lernen daraus zum erstenmale, daß Plethon und seine Erben im Besiße nicht unbe trächtlicher Lehne (Phanarion und Brysis) im Peloponnesos waren, und wie der von den Kreuzfahrern dort eingeführte Feuda. lismus in vollem Umfange auch von den Byzantinern beibehalten und nachgeahmt ward gewiß ein nicht unwichtiges, bisher nur zu sehr übersehenes Moment in der Geschichte des späteren Byzan tinismus. Herr Placido, früher Alumne des Archivs, jezt ein vielgesuchter Advocat in Neapel, hat diese drei Diplome, die auch anderswo hernach wiederholt abgedruckt sind, nicht nur mit einer lateinischen Uebersetzung, sondern auch mit sprachlichen und histori. schen Anmerkungen begleitet. Könnte uns in Deutschland von ersteren die eine oder andere überflüssig erscheinen, so ist das für Neapel, wo wie in ganz Italien gründliche Kenntniß der grie chischen Sprache noch zu den Seltenheiten gehört, durchaus nicht der Fall. Höchst werthvoll sind dagegen die sachlichen Erläuterun

gen, die größtentheils auf bisher unbekannte Urkunden der An. | ausgeführt ist: denn allerdings sind die Notizen zum Theil doch giovinischen Register basirt sind und die feudalen Zustände, wie die Geographie des griechischen Mittelalters vielfach aufhellen.

Erwähnen können wir hier noch das gleichfalls ganz aus Urfunden geschöpfte genealogische Werk des Herrn Erasmo Ricca „La nobilta del regno delle due Sicilie," von welchem gleichfalls 1862 der erste Band erschienen ist. Ein sehr großartig angelegtes Unternehmen, dem aber wohl auch die fördernde Unterstüßung noch fehlt eigentlich eine Geschichte der Lehne des früheren König. reichs, die alphabetisch nach dessen einzelnen Provinzen behandelt find; einzelne auch für allgemeine Geschichte, z. B. der Zeiten Carl's V, sehr interessante Urkunden erhöhen nicht wenig seinen | Werth. Doch verdankt diese Arbeit nicht eigentlich erst der neuen Aera Italiens ihren Ursprung, sondern datirt noch aus der bourbonischen, derartigen Studien günstigeren Zeit; während das ebenfalls 1862 dort von C. Hopf veröffentlichte Bruchstück aus einer ungedruckten Chronik des Marino Sanudo Torsella (Storia | di Carlo I d'Angiò e della guerra del vespro siciliano), be. treffend die sicilianische Vesper, wohl nur in dem freien Neapel erscheinen konnte.

Hoffen wir, daß einheitlicheres Zusammenwirken recht bald noch manche unbekannte Schähe des lang versperrten Archives ans Tageslicht fördere, und daß Herr del Giudice namentlich, der mehr als irgend Jemand dazu den Beruf hat, die weitere Geschichte der Angiovinischen Zeit in wahrhaft wissenschaftlicher Weise zu erläutern fortfahre.

Heyne, Otto, der Kurfürstentag zu Regensburg von 1630.
Berlin, 1866. Guttentag. (X, 202 S. gr. 8.) 25 gr.

Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir die vorliegende Abhandlung, obwohl ihr Umfang hinter den breiten und breitspurigen Werken Hurter's, Gfrörer's, D. Klopp's u. a. weit zurück. bleibt, für eine der besten neueren Arbeiten über die Zeit des 30jährigen Krieges erklären. Das Thema, das der Verfasser sich ftellt, jein Quellenmaterial, seine historische Methode, ein gewisses stilistisches Geschick machen dieses Erstlingswerk höchst beachtens, werth.

Keinem, der sich mit der Zeit des 30jährigen Krieges auch nur obenhin beschäftigt hat, wird die Wichtigkeit des kurfürstlichen. Collegialtags zu Regensburg von 1630 entgangen sein. Die politischen Fäden der voraufgehenden Jahre laufen in ihm wie in einem Knotenpunkt zusammen, von ihm breitet sich ein ganzes Net von Beziehungen durch die nächstfolgende Zeit aus. Eben erst ist das Restitutionsedict erlassen; die baltische Frage von Ferdinand II mit aller Schärfe in die erste Reihe seines politischen Systems ge. stellt; von Frankreich aus wirkt die großartige Politik Richelieu's, von Schweden aus die nicht minder großartige Gustav Adolf's auf die deutschen Verhältnisse ein. Unter diesen und ähnlichen Um. ständen mehr versammelt man sich in Regensburg, um Entschei. dungen über Fragen zu treffen, die wahrhaft europäischer Natur find. Die Frage über die Nachfolge im Reiche wird proponiert und verhandelt; die Absetzung Wallensteins gefordert und zugestanden; eine Masse anderer Beziehungen, deutscher wie außerdeutscher, untersucht, weitergeführt, erledigt.

Auf Grundlage gedruckten Materials allein wäre dieses Thema gar nicht zu erschöpfen gewesen, und Herr Heyne hat das Glück gehabt, das zumal für diese Zeit überaus reichhaltige Dresdner Archiv in einem so ausgedehnten Maße zu benußen, wie es nur bei der dort herrschenden nachahmungswürdigen Liberalität möglich ist. Aber er hat es daneben nicht verabsäumt, die gedruckte Literatur fleißig und sorgfältig anzuziehen, und zwar in einem Umfange und in einer Art und Weise, die mit der mecha. nischen Art kritiklosen Excerpierens, in der Gfrörer und Onno Klopp Meister sind, gar nicht zu vergleichen ist. In einem Anhang giebt der Verfasser über die Literatur über den KurfürstentagRechenschaft, von dem nur zu bedauern bleibt, daß er so wenig

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etwas zu dürftig, zum Theil auch nicht ganz genau. So entbehrt man ungern, wo das Inventarium Sueciae gesucht wird, die Arma Suecica welche, wie neuerdings in einer ausführlichen Untersuchung nachgewiesen worden ist, in den früheren Partien durchaus die Grundlage für das Invent. Suec. bilden. Ueberhaupt ist nicht zu billigen, daß der Verfasser bei Angaben, in welchen das Invent. Suec. und auch das Theatr. Europ. den A. S. nacherzählen, nicht bis auf diese zurückgeht, sondern sich wie z. B. S. 143 Anm. 3 mit dem Nachweis aus jenen beiden Geschichtsbüchern begnügt. Des Königl. schwedischen in Deutschland geführten Krieges von Chemniß wird in dem Anhang gar nicht gedacht, obwohl er seine Stelle ebenso gut verdient hätte, wie das Inventarium. Anderes ist dagegen durchaus zu loben, so die kurzen Bemerkungen über Richelieu's Memoiren, und die ebenso sorgfältige wie häufige Benuzung dieser merkwürdigen Quelle. Am meisten bedauerlich bleibt, daß der Verfasser versäumt hat, die neuen schwedischen Quellen. publicationen einzusehen, die auch für seinen Gegenstand zum Theil höchst wichtige Beiträge geliefert hätten.

Einige störende Kleinigkeiten fallen bei dem sonstigen Werth der Abhandlung nicht eben allzu schwer ins Gewicht; aber beleidigend für das Auge bleibt es immer, als Beleg für ein und dasselbe Ereigniß „Chemnitz, Invent. Succ. und Theatr. Europ." in dieser Reihenfolge angeführt zu sehen (so S. 145 Anm. 3), während sie der Abfassungszeit, und vielfach auch der Abhängigkeit und Ableitung nach in dieser Reihenfolge hätten aufgezählt werden müssen: Invent. Suec.; Theatr. Europ.; Chemniz. Und für die Angabe, daß Gustav Adolf am 3. Juli an der deutschen Küste gelandet sei, wird der Verfasser schwerlich einen Beleg finden. An diesem Tage war Gustav Adolf vielmehr bereits im Befit des größten Theils der beiden Inseln Usedom und Wollin.

Doch abgesehen von diesen Dingen spenden wir dem Buche unser unbedingtes Lob, und wiederholen was wir zu Anfang sagten: es ist ein vortrefflicher Beitrag zu einem ernsten und tüchtigen An. fang evangelischer Geschichtschreibung des 30jährigen Krieges, der in den plumpen Händen geschmackloser oder gesinnungsloser Ultramontanen auf dem Wege war, zu einer fable convenue zu werden. Vollends in den Händen des Herrn Onno Klopps, des Diplomaten von Langensalza.

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1) Brunnemann, Dr. Karl, Prof., die Befreiung der Landschaft
Thurgau im Jahre 1798. Der Kanton Thurgau unter
der Helvetil 1798-1803. Zwei historische Skizzen. Amrisweil,
1861. Häberlin. (VIII, 108 S. 8.) 10 Sgr.
2) Wanner, Dr. Martin, Studien über die Staatsumwälzung
des Kantons Schaffhausen im Jahre 1798. Schaffhausen, 1865.
Brodtmann. (IV, 160 S. gr. 8.) 15 gr.

Zwei dankenswerthe Beiträge zur Geschichte der helvetischen Revolution, welche in den bisherigen Darstellungen nur in ihren allgemeinen Partien und in Beziehung auf Bern und Zürich aus. führlich behandelt worden ist, während die Vorgänge in den ein. zelnen Cantonen noch nicht näher untersucht waren. Beide Verfasser haben aus den örtlichen Archiven und den gleichzeitigen schweizerischen Tagesblättern ein reiches Material zur Benuzung gehabt und dieses mit Fleiß und Sorgfalt bearbeitet, Brunne mann, der Geschichtslehrer an der Thurgauischen Cantonsschule, offenbar mit mehr formellem Geschick und Erfolg, als der Schaffhausener Staatsschreiber. Ersterer erzählt, hauptsächlich nach den Protocollen und anderen Actenstücken des Frauenfelder Archivs, die Erhebung des Thurgaus, das als Unterthanenland unter der Regierung eidgenössischer Landvögte und verschiedener aristokratischer Gerichtsherren stand, von denen das Volk oft sehr tyrannisch be. handelt wurde. Der Kampf gruppirte sich hauptsächlich um die Stadt Frauenfeld, den bisherigen Sitz der eigenössischen Regierung, und den Marktflecken Weinfelden, von wo die demokratische Erhebung, unter Führung eines Kaufmanns, Paul Reinhard, aus

die Masse modernen Staatsthums eingesprengt haben sie bis jezt im Wesentlichen ihre urkräftige und abgeschlossene Besonderheit gewahrt. Eine Urner oder Appenzeller Landesversammlung ist etwas so Patriarchalisch-Originelles, daß uns anschauliche Schil. derungen dieser uns fast verwunderlich einfachen Vorgänge nur willkommen find. Der Verfasser des vorliegenden Vortrags schil. dert uns weniger das Land als die Leute der drei Waldstädte, und ihre Hauptbeschäftigungen, Alpenwirthschaft und Viehzucht. Von der Betrachtung der Familie schreitet er zur Gemeinde, deren Hauptbedeutung darin besteht, „daß sie im Gesammtorganismus des Staats die Kreise bildet, denen ein großer Theil der Aufgaben zufällt, welche der Staat zu lösen hat.“ Die Landesversammlung wird uns auch hier vorgeführt und über Rechtsverfassung, Stra. fen u.s.w. interessante Mittheilungen gemacht. Der Rynicker'sche Fall hat das Capitel der Leibesstrafen erst neulich zu lebhafter Besprechung gebracht. Höchst merkwürdiges kommt bei der Auf. zählung der Ehrenstrafen vor. So erfolgt z. B. die Ausstellung auf dem „Lasterstein" durch den Scharfrichter, oft mit eigenthüm lichen symbolischen Zuthaten. Der Ausgestellte hält eine Ruthe in der Hand als Zeichen der verwirkten körperlichen Züchtigung. Wer die Obrigkeit oder das Gericht gelästert hat, wird mit einem Knes bel im Munde ausgestellt. Auf dem Gebiete der empfindlichen Ehrenstrafen steht auch das Wirthshausverbot. Es tritt als selbständige Strafe für falsche Spieler und streitsüchtige Menschen,

ging, und endete mit dem Eintritt in die von den Franzosen | octroyirte Einheitsverfassung. Die zweite Abhandlung erzählt den Untergang dieser Verfassung von 1798, der sogenannten Helvetik, und ihre Umgestaltung in die Mediation von 1803. Der Ver. fasser erörtert hier die Ursachen, welche jenen Sturz herbei führten, und tritt dabei der in den Schweizer Geschichten herkömmlichen Vorausseßung entgegen, als ob die Helvetik durch ihre gewaltsame Centralisation und ihre für die Schweiz unpassenden Einrichtungen ihr Schicksal verdient hätte. Er zeigt, daß es mit der angeblich straffen Centralisation nicht so schlimm, daß vielmehr der Selbständigkeit der Cantone und Gemeinden ziemlich viel Spielraum gelassen war, und daß die Grundzüge der einheitlichen Verfassung von 1848, auf welche die Schweiz mit Recht stolz ist, in der sogenannten Helvetik bereits gegeben waren. Er sucht eine Reihe der landläufigen Vorwürfe, welche der Helvetik gemacht wurden, zu entkräften und an dem Beispiel des Thurgaus nachzu. weisen. Dabei kommt er zu dem Resultat, daß die Helvetil gefallen sei als ein Opfer der Wuth derjenigen, denen es an den Kragen ging, und der Dummheit der Anderen, die das nicht merkten und daher auf die Scheingründe hörten, welche jene gegen die Verfassung vorbrachten. Schließlich spricht er die Ueberzeugung aus, daß der frühe Untergang der helvet. Republik ein Unglück für die Schweiz gewesen sei, und daß sie, wenn jene Verfassung erhalten geblieben wäre, nicht so viel nachzuholen haben würde, als jezt nöthig sei. Ausführlicher, aber etwas schwerfälliger behandelt seinen Stoffhäufiger als Zuthat zu andern Strafen, und die Form des VerMartin Wanner. Er beginnt seine Darstellung mit einer Schil derung der Schaffhausen'schen Verfassungs- und Culturverhältnisse gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, und erzählt in einem zweiten Abschnitt die Anfänge der helvetischen Revolution. Jm dritten kommt er auf die Vorgänge in Schaffhausen selbst, das sich leichter als die übrigen aristokratischen Städtecantone entschließen fonnte, seine Rechte mit seinen Unterthanen im Klettgau und Hegau zu theilen, weil es weniger Vorrechte zu opfern hatte, das aber doch ungebührlich damit zögerte. Es folgt dann ein Ueberblick über die Lage der Dinge im Allgemeinen, und den Widerstand Berns und der Urschweiz gegen Frankreich; der fünfte bis siebente Abschnitt behandelt die Einreihung des Cantons Schaffhausen in die neue Ordnung der Dinge, und giebt eine statistische Darlegung der Rechts- und Besigverhältnisse des Cantons, sowie eine Erzählung der kriegerischen Ereignisse des Jahres 1799. Auch Wanner stimmt schließlich mit dem Verfasser der erstgenannten Schrift darin überein, daß die helvetische Revolution mit all ihren Miß. griffen doch ein Hauptschritt zur Freiheit und die Grundlage der jezigen Reform gewesen sei. Wir empfehlen den Geschichtsfreunden diese beiden Monographien als nicht zu übersehende Belege des Fortschritts der politischen Erkenntniß in der Schweiz. KI, Mittheilungen zur vaterländ. Geschichte. Herausg. vom histor. Verein in St. Gallen. III.

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bots ist in Unterwalden: „dem N. N. ist der Besuch der Wirths. häuser und alles, was räuschig macht, zu trinken, und jedermann ihm dergleichen geistige Getränke zu verabreichen, verboten," mit dem Beisaz: „ist auszukünden und auf die öffentlichen Trinkzeddel zu schreiben." Diese Trinkzeddel sind Listen der dem Bann Ver. fallenen und werden in den Wirthsstuben aufgehängt. Mit einem Blick in die Zeit, wo die mittelalterlichen Gebilde den immer rascheren Strömungen der Völkercultur sich doch nicht mehr entziehen können werden, schließt der interessante Aufsag.

Primme, Fr. Wilh., das Sauerland und seine Bewohner. Soest, 1866. Nasse'sche Verlagsbuchhdig. (70 S. 8.) 6 Sgr.

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Ein kleines, anspruchslojes, aber gut geschriebenes und ebenso unterhaltendes als belehrendes Büchlein, auf welches wir nament. lich die Freunde deutscher Volksüberlieferungen aufmerksam machen, die darin manche dankenswerthe Mittheilung finden. So S.26 leider nur zu kurze Nachrichten über die heimathlosen „Kötten“, welche hinter der Hecke" geboren sind, ihre Ehen schließen, indem fie dreimal über den Besen springen" u. f. w., S. 36 die Notiz, daß fast jedes Dorf einen s. g. Ripprapp" hat, d. h. ein Lied von so viel Versen als Häuser im Dorf find, worin jedes Haus genect und gefoppt wird, S. 37 ff. Ortsnedkereien und S. 50-70 der ganze Abschnitt Sitten und Gebräuche." Aus letterem heben wir u.a. hervor S. 54 den Thomasesel" als Ergänzung zu A. Kuhn's Sitten 2c. aus Westfalen 11, 99, S. 58 das seltsame Zehenbeißen" an Fastnacht, wozu man ebenfalls Kuhn II, 128 vergleiche, S. 59 f. das Judasjagen", S. 66 das Schichtern" oder zweite Gesicht, vergl. Kuhn 11, 55. Vom Gertrudstag (17. März) heißt es nach 6.57 im Sauerland, „S. Gertrud hole den heißen Stein wieder aus dem Rhein herauf, den im November S. Katharina hineinge worfen." Referent kennt diesen Spruch, mit dem man dem Sinn nach den bairischen (Schmeller II, 71): „Um Gertraud geht die Wärm von der Erd auf" vergleiche, nur noch aus Wöste Volks. überlieferungen in der Grafschaft Mark S.61, wo jedoch statt den heißen Stein" steht: „den ersten Stein." Beiläufig sei erwähnt, daß der ebenfalls S. 57 mitgetheilte Spruch S. Gertrud geht der erste Gärtner aus“ (oder, wie es anderwärts auch heißt: „S. Ger trud geht die erste Gärtnerin aus“ oder „S. Gertrud ist die erste Gärtnerin", s. Firmenich 1, 320 und 349, Wöste S. 60, Böbel Die Haus und Feldweisheit des Landwirths S. 16) eine Stelle des Simplicissimus 1, 34, Zeile 17 (der Ausgabe von Kurs) erläutert.

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