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der

deutschen und ausländischen Literatur.

Erster Jahrgang.

Heft 1.

6. Jan. 1843.

Literaturgeschichte.

[1] Histoire des Idées littéraires en Françe au dix-neuvième siècle et leurs origines dans les siècles antérieures par Alfr. Michiels. 2 Vols. Paris, Coquebert. 1842. XV u. 396, 518 S. gr. 8. (15 Fr.)

Als Beitrag zur Kenntniss französischer Zustände, und der unter einem Theile der Franzosen über Literatur, Kunst und Wissenschaften herrschenden Ansichten und Meinungen ist dieses Werk von Wichtigkeit. In Deutschland standen die Franzosen lange in dem Rufe der Selbstgefälligkeit und des Selbstruhmes. Dieser Ton ist, was Wissenschaft und Kunst anlangt, wenigstens bei einem Theile derselben völlig verschwunden, so entschieden, dass sie selbst das Verdammungsurtheil über ihre frühere Literatur aussprechen und es für absolut nothwendig erklären, Frankreich müsse einen neuen Weg, den Weg, auf dem England und Deutschland sich bereits seit längerer Zeit befinden, betreten. Es ist der Kampf zwischen der Classicität und dem sogenannten Romantismus, der uns in diesem Werke geschildert wird. Der Vf. stellt die Stimmen, die für jene und die Stimmen, die für diesen seit dem 17. Jahrh. laut geworden, sich gegenüber und beurtheilt, oft nicht ohne Geist und ohne Wahrheit, eine bedeutende Anzahl französischer Schriftsteller, besonders Dichter, Literarhistoriker, Theoretiker der Kunst und Wissenschaft. Dadurch gewährt das Buch ausser seinem Hauptinhalte dem Freund der französ. Literatur noch ein anderes Interesse in dem Blicke auf eine grosse Anzahl älterer und neuerer Schriftsteller Frankreichs. Der Vf. nimmt bei der Darstellung dieses Streites unbedingt Partei gegen die Classicität. Er unterscheidet zweierlei, die classische Literatur und Kunst an sich selbst und die Imitation derselben, wie sie in Frankreich lange Statt fand. Gegen die erste spricht er sich mit einem wahren Fanatismus aus, was wir nicht sowohl desshalb hervorheben, weil er es thut, sondern weil es der Reflex eines Theiles wenigstens des in Frankreich jetzt herrschenden Geistes ist. Die classische Literatur ist der Ausdruck des Alterthums, eines weit weniger geistigen Sein's als die neuere Zeit es enthält. Das Alterthum enthält, vorausgesetzt, dass es eine solche geben könnte, was nicht der Fall 1843. I.

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ist, keine Kunstvollendung. Es wäre thöricht, anzunehmen, dass die Kunstvollendung, wenn es eine solche gäbe, an ein bestimmtes Volk gebunden, alle übrigen aber zur Stupidität verdammt wären, dass es keinen Fortschritt und keine Fortentwickelung gäbe. Es war ein Unglück für die neue Welt, dass bis in das 17. Jahrh. hinein die classische Literatur Alles überschwemmte; die wahre und rechte künstlerische, wissenschaftliche und geistige Entwickelung ist dadurch unermesslich aufgehalten worden. Diese classische Wissenschaft, besonders aber diese classische Kunst, fährt der Vf. fort, imitiren zu wollen, einen Geist, der nicht der eigene, der einer fremden, abgestorbenen, mehr materiellen als geistigen Welt abgeborgt ist, in die neue Kunst hereinbannen wollen, ist der Gipfel aller Thorheit und heisst allen Geist verlieren wollen. Eine Wissenschaft und Kunst, wenn sie sich nur recht auf den Boden des neueren ungleich geistigeren Sein's aufbaut, ist unendlich besser und muss es sein, als die classische Kunst und noch mehr als das blosse Scheinleben einer Imitation derselben. Diess die Gedanken, auf welche der Vf. unaufhörlich zurückkommt und welche in der Sprache einer beinahe fanatischen Begeisterung nach verschiedenen Seiten hin vorgetragen werden. Dieser Fanatismus richtet sich namentlich oft gegen die Alterthums - Gelehrten, welchen mehr als einmal Schuld gegeben wird, der wahren geistigen Entwickelung der Welt viel mehr geschadet als genützt zu haben. Ref. scheut sich beinahe, hier solche Aeusserungen des Vfs. mit eigenen Worten auch nur nachzusprechen und will ihn lieber in ein Paar Beispielen selbst reden lassen, welche die Seltsamkeit und den Geist, der hier repräsentirt wird, genügend zeigen werden. In einer Stelle heisst es von den Alterthumsgelehrten: "On mesure l'excellence d'une chose par la peine qu'on a eue à l'acquérir. ont travaillé beaucoup pour apprendre le grec et le latin, ils leur attribuent donc un immense valeur." In einer anderen: „L'ineptie des critiques n'a pas légèrement contribué à l'infatuation pour les anciens, qui a corrompu un si grand nombre d'esprits. Le jugement, qui leur éût été si nécessaire, leur a presque toujours manqué. Ils ont mis sous le dais une certaine forme d'art, sans comprendre l'art en lui même; il leur était plus facile de déclarer un type unique et absolu que de montrer du goût et de l'intelligence. Une fois lancée dans le monde la sottise a passé de bonche en bouche, de génération en génération; nos rheteurs se sont copiés l'un l'autre avec une touchante exactitude.“ Was den Gehalt des Werkes im Einzelnen anlangt, so führt der Vf., nachdem er seine allgemeinen Ansichten besonders über das Verhältniss der alten und der neuen Kunst zu einander dargelegt, den Kampf zwischen der Classicität und dem Romantismus in Frankreich an einer Reihe einzelner Erscheinungen vor. Schon vom 16. Jahrh. an will sich eine ächt nationale Literatur erheben. Dubellay, Bois-Robert, Desmarets de Saint-Sorlin bekämpfen die Classicität und deren Imitation. Aber höher als sie erheben sich im 17. Jahrh. Perrault und

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Fontanelle, von welchen der erstere so heftig durch Boileau bekämpft wird. Perrault begreift schon, auf welchen Boden sich die neuere Kunst stellen müsse, wenn sie werden solle, was sie sein soll. Aber er gewann in dem Streite die öffentliche Meinung für sich nicht. Die französ. Literatur und Kunst mumisirte (so sagt, der Vf.) in die Imitation des Antiken sich ein und verlor damit alles wahre Leben. Dann trat eine längere Zwischenzeit ein. Voltaire. ward den reinern Begriffen, die er in England aufgefasst hatte, bald wieder untreu und vernichtete mit dem ungeheuren Ansehn, das er bei der Nation gewann, Jeden, der sich, wie La Mothe gegen eine sclavische Imitation derselben erheben wollte. Indessen vernichtete Voltaire doch anderseits selbst wenigstens etwas von dem,,römisch- griechischen Fetischismus." Eben so wenig konnten Diderot und Beaumarchais durchdringen, zum Theil weil sie es selbst nicht recht anzufangen verstanden. Und so verblieb denn die französ. Literatur und Kunst auf ihrem verkehrten, antinationalen Wege. Mercier wollte zwar mit dem Werke,,Essai sur l'art dramatique" den bösen Riesen der Classicität niederbrechen und den Romantismus in Frankreich einführen, allein die Nation hörte auch ihn nicht und das Grab deckte ihn mit Schweigen. Merciers Schrift wird genau analysirt. Der Vf. bespricht dann Buffon's, Rousseau's und Bernardin de Saint-Pierre's Einfluss auf französ. Literatur und französ. Geist, Schilderungen, in welchen viel Treffliches und Treffendes enthalten ist. So kam das Ende des 18. Jahrh. heran und die franz. Nation befand sich in Beziehung auf die Kunst in allen ihren Zweigen, aufgehalten durch altes Vorurtheil und durch die Verkehrtheit der Gelehrten mit ihrer übertriebenen Schätzung des classischen Alterthums, noch immer nicht auf dem Wege der Natur. Indessen war die Nation doch selbst dieser seelenlosen Literatur und Kunst zum Theil wenigstens müde geworden. Allein man kannte ein anderes Terrain nicht zum Imitiren, um den Geist erziehen zu lernen, man kannte England, man konnte Shakespeare kaum, die Franzosen lebten in den crassesten Täuschungen der nationalen Eitelkeit. Was Muralt, Ducis, Letourneur und Remond thaten, um englische und deutsche Nationalpoesie in Frankreich bekannt zu machen, war noch ungenügend; doch zeigte sich in Delille, Roucher und Saint-Lambert schon die Morgenröthe einer andern Zeit und einer bessern Einsicht in das wahre Wesen der Kunst. Man fing doch an, den Blick auf die Natur mehr als auf die Alten zu richten. Auch waren wenigstens die historischen Studien zum Mittelalter zurückgekehrt, die Quelle der Nationalität damit emporgesprungen. Nun kam die Revolution und übte in literarisch- künstlerischer Hinsicht einen seltsamen Einfluss auf Frankreich aus. Während ein Theil der Schriftsteller, Chenier, Lebrun, Lemercier, von einer neuen fast fanatischen Wuth für das Alterthum ergriffen wurden, versuchten andere eine Reform auf dem Boden der Natur. Der Vf. charakterisirt übrigens die eigentlichen Dichter der Revolution sehr richtig als fast ohne Aus

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