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aber alle von der im Jahre 1862 von Brauell veröffentlichten Untersuchung über die pathologische Anatomie der selben verdrängt. Diese tüchtige Arbeit hat ihr Entstehen den Impfungsversuchen, in deren Anstalt (in Bondarewka) sie auch erzeugt wurde, zu verdanken. › Und ist auch die Tendenz der vorliegenden Abhandlung, die Unrichtigkeit der von Brauell erhaltenen Resultate durch Thatsachen darzuthun, SO muss ich doch der Wahrheit gemäss diesem unermüdlichen Forscher das Verdienst zuerkennen, dass er der erste war, welcher die Exsudationslehre in der Rinderpest umgestossen hat und auf schon gebahntem Wege war es mir natürlich leichter, die Sache weiter zu verfolgen.

Ich will also dem geneigten Leser das Ergebniss meiner fünfmonatlichen eifrigen Arbeit am Mikroskope darstellen, deren Resultate in der russischen Sprache breiter schon veröffentlicht sind.

Was nun den Modus meiner Untersuchungen betrifft, so habe ich dieselbe sowohl an frischen, wie auch an gehärteten Präparaten gemacht. Letztere sind in Lösungen von Chromsäure und chromsaurem Kali, wie auch in Alkohol gehärtet worden und die feinen Schnitte in Kar minlösuug gefärbt.

St. Petersburg, den 1./12. Mai 1864.

Magister Joseph Ravitsch.

I. Die herrschenden Lehren über die Genese
der Rinderpest,

Es liegt gewiss nicht in meiner Absicht, hier alle jene Schriftsteller anzuführen, welche seit langer Zeit über die Rinderpest geschrieben haben, obwohl ein kurzer Ueberblick dieser sehr reichen Literatur von grossem Interesse wäre Denn müsste man bei einem solchen Ueberblicke auch manchen Namen aus dem Reiche der Schatten hervorrufen, um denselben wieder und auf ewig in die Letha versinken zu lassen, so würde doch eine solche Arbeit uns ein Abbild der langsamen Entwickelung unserer Wissenschaft überhaupt, wie auch insbesondere unserer Kennt nisse der Rinderpest dargestellt haben. Sie hätte uns gezeigt, wie lange und hartnäckig der Kampf war, den die Wissenschaft mit dem Aberglauben fechten musste, um rationelle Begriffe von dieser wie von anderen Thierkrankheiten erhalten und verbreiten zu können.

Da ich aber hier nicht eine Geschichte der Veterinairmedicin schreiben will, so muss ich auf diese Arbeit verzichten und des Lesers Aufmerksamkeit nur auf jene Begriffe wenden, die in der Veterinair Literatur über die Rinderpest in der neueren Zeit aufgestellt worden sind.

Wie bekannt, war Hildebrand der erste, welcher im 12. Jahre dieses Jahrhunderts die Identität der Rinderpest mit dem Typhus abdominalis des Menschen ausgesprochen hat, eine Meinung, die bald fast von allen Thierärzten adoptirt wurde. Zwar wurde noch in vielen Handbüchern von Entzündungen der Därme und des Labes bei der Rinderpest gesprochen, immerhin aber wurde diese Krankheit als Typhus abdominalis anerkannt. Ja im Jahre 1846 trat Spinola gegen die Vereinigung dieser beiden, seiner Meinung nach entgegengesetzten Begriffe vou Typhus und Entzündung in der Rinderpest auf.

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an dem traditionellen Begriffe vom Wesen der Entzündung: als eine hyperinotische Blutdyscrasie haltend, konnte dieser namhafte Pathologe unmöglich die Gegenwart des entzündlichen Prozesses bei der Rinderpest zulassen, wo er immer im Gegentheil eine hypinotische Blutmischung fand. Seine Untersuchungen haben ihn aber von der unleugbaren Achulichkeit der Rinderpest mit dem Typhus abdominalis des Menschen überzeugt,

Diese Aehnlichkeit wurde, und zwar mehr auf anatomischem Grunde auch von Bochdaleck, Seer und Müller behauptet, die in der Rinderpest dieselbe Schwellung und Verschwärung der Peyer'schen und solitären Follikel im Darme gefunden haben wollen, wie sie beim Typhus des Mensehen auftreten. Es schien also die besagte Identität ausser allem Zweifel gestellt worden zu sein.

Es sollte aber diese Theorie das Missgeschick mancher anderen Theorien theilen, die selten ihre Erzeuger überleben. Schon im Jahre 1851 wurde dieselbe von Roll verworfen.

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Dieser auf dem Gebiete der Zoopathologio hochgestellte Lehrer erklärte sich auf seine eigenen vielfältigen Untersuchungen berufend, die Rinderpest für einen krupös-exsudativen Prozess, der je nach der Dauer der Seuche und nach der Körper-Constitution der erkrankten Thiere bald in Gestast fester faserstoffiger Platten auf den Schleimhäuten der Verdauungs- und Respirations - Organe, bald mehr als zerfliessende, die Gewebstheile zerstörende Ausschwitzungen auftreten. Bald darauf bekehrte sich die gesammte Wiener Thierarzneischule zu dieser Exsudationsu lehre, die auch in vielen anderen Orten Eingang gefunden hat. Zwar hat Dr. Weber schon im Jahre 1852 Röll widersprochen und die typhöse Infiltration anabhängig. von dem krupös - exsudativen Prozess bei der Binderpest behauptet; ebenfalls hat Spinqla in seiner speciellen Pa

thologie im Jahre 1858 dasselbe behauptet, was er imm Jahre 1846 gesagt hat, nämlich, dass bei der Rinderpest von keiner Entzündung die Rede sein kaun. Er ist dar gegen jener Ansicht, dass diese Krankheit ihren Ursprung in deiner Blutdyscrasie habe, welche das Fieber hervor rufe und dieses seinerseits als Localisation die anatomischen Störungen im Darmkanale hervorbringe, (Spec. Patb. u. Th. S. 310), treu geblieben.

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Indessen hat dieser Widerspruch Spinola's, der beiläufig gesagt, zur selben Zeit gegen die Lehre Röll's erhoben wurde, als grade über die Berliner Thierarzenei, schule die mächtige Stimme der neuen Lehre Virchow's schon erlänte, wenig Eindruck gemacht, deun bereits hatte die Crasenlehre ihre Anhänger auch in der Thierheilkunde mehr und mehr zu verlieren angefangen.

Gewichtiger sollte aber der Einwurf Brauell's gegen die Exsudationstheorie sein. Dieser berühmte Forscher hat nämlich in demselben Jahre die sogenanulen Exsudationsplatten in Maul- und Rachenhöhle bei der Rin derpest untersucht und gefunden, dass dieselben nur aus Epithelialzellen und ihrem Detritus bestehen. Allein auch dieser Einwurf war noch nicht kräftig genug, um die Lehre Röll's umstossen zu können. Nun aber erschien im Jahre 1862 die neuere Arbeit Brauell's, in der der Verfasser die Resultate seiner im Impfinstitute zu Bondarewka (im Chersonschen Gouvernement) vielfältigen Untersuchungen veröffentlicht hat. Diese Resultate sollten die Exsudationstheorie völlig umwerfen und vernichten. Sie sind fol gende:

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A. Die natürliche Rinderpest,

1. Das Epithel der Schleimhaut des Digestionsapparats wird abgestossen. Kein Theil des letztern ist vor diesem Verluste geschützt, am wenigsten die Maulhähle, der

Rachen, der Schlund, der dritte und vierte Magen und der Darmkanál, am meisten die beiden ersten Magen-Abtheilungen.

II. An der Schleimhaut der Lippen, zuweilen auch am Zahnfleisch (und am Flotzmaul) schwindet das Epithel nur an kleineren begrenzten Stellen, in anderen Gegenden des Nahrungsschlauches wird es in grösseren Strecken oder überall abgestossen.

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III. Während und wahrscheinlich schon vorher, bevor das Epithel sich ablöst, fällt es der Fettmetamorphose. anheim und wird dadurch wenigstens zum Theil iu Molekularmasse verwandelt. Im Darmkanal konnte zwar dieser Zerfall nicht beobachtet werden, weil hier das Epithel stels vollständig verschwunden war; es lässt sich aber im Darm derselbe Prozess voraussetzen, welcher an den übrigen Partien des Nahrungsschlauches beobachtet wurde.

IV. In den Schleimdrüsen der Maul- und Rachenschleimhaut findet gleichzeitig mit dem Zerfall des Epi thels (vielleicht und wahrscheinlich auch schon vorher) Neubildung von Zellen statt, in den Schleimdrüsen des vierten Magens und Dünndarms Zellenwucherung, welche zwar erst nach Entfernung des Epithels beobachtet wurde, wahrscheinlich aber schon früher beginnt.

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Die hervorragenden Zellen zerfallen über kurz oder lang in Molekularmasse, nachdem sie eine Zeit lang plat tenartig die Schleimhaut bedeckt haben.

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V. In der Schleimhaut der Unterlippe findet häufig partielle, auf kleine Stellen begrenzte, numerische Hyperplasie der Formelemente des Bindegewebes statt, durch welche die linsengrossen, so genannten Knötchen hervorgebracht werden.

VI.

Die Schleimhaut der Maul- und Rachenhöhle des vierten Magens und Dünndarms zerfällt zuweilen an einzelnen, bald kleineren, bald grösseren begrenzten Stellen,

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