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Theil erhalten. Der Schmuck der Längswände ist untergegangen, die Bilder der Cappella del crocifisso sind von späterer Hand. Uns beschäftigen vor Allem die Deckenbilder des westlichen Joches.

Schon die Wahl des Stoffes überrascht. Nicht, dass die Allegorien der Sacramente, die dargestellt sind, ausserhalb der Gedankenkreise jener Zeit gelegen hätten; aber gemalt ist dieser Cyclus kaum einmal im ganzen Trecento. Die Unentbehrlichkeit der Allegorie für die christliche Kunst überhaupt und ihre Beliebtheit innerhalb der von der Scholastik beherrschten Region hat Burckhardt im Cicerone (6531 ff.) überzeugend dargelegt. Sie zwang die fernliegendsten Stoffe in ihren Rahmen, denn man konnte allgemeine Gedanken nur in dieser Form aussprechen. Warum verschmähte sie grade dies klassische Thema der Sacramente, das vom Dogma und der Hierarchie so eifrig ausgestattet worden war, da sich in ihm die Unentbehrlichkeit des kirchlichen Apparates am deutlichsten manifestirte?

Die einzelnen Kunstprovinzen stellen sich im Trecento sehr verschie den zur Allegorie. Florenz liebt sie i. A. nicht, abgesehen von der officiellen Heimstätte scholastischer Haarspaltereien, dem Kreis von Sa. Maria Novella und S. Spirito. Namentlich die von den Franziskanern beherrschte Kunst drängt immer mehr zur legendarischen Novelle als zum Lehrgedicht; Giotto's Allegorien in Assisi sprechen nicht dagegen, sondern dafür. Denn die Allegorie ist hier mit der historischen Anekdote derartig durchsetzt, dass ein seltsames Gemisch verschiedener Tropen entsteht. Namentlich ein Zweig der Allegorie scheint in Florenz im Gegensatz zu Siena wenig gepflegt zu sein: der der politischen Allegorie. Sie hätte für Giotto, als er die Bargello-Kapelle zu malen bekam, sehr nahe gelegen; aber die Florentiner wünschten einen ganz anderen Inhalt den Wänden ihrer Palastkapelle abzulesen als die Sienesen in ihrem Palazzo pubblico. Ein einziges Mal wird in Florenz eine politische Allegorie begehrt, 1343 bei der Vertreibung des Herzogs von Athen; und da wird eine Caricatur daraus. Giotto's Tugenden und Laster in Padua sind Einzelgestalten, wie sie namentlich die Plastik der Pisani immer neu geschaffen hatte. Solche allegorischen Gestalten“ sind aber keine Allegorien im engeren Sinne, d. h. Synthesen einer abstracten Vorstellungswelt. Dasselbe gilt von den Gestalten Orcagna's und Andrea Pisano's am Tabernakel und der Bronzethür. Anders verhält es sich mit den Reliefs am Campanile. Aber hier ist der Gedanke sehr glücklich aufgelöst in einer Handlung menschlicher Thätigkeit; aus trivium und quadrivium werden Genreszenen aus dem Alltagsleben, wie sie der gesunde Wirklichkeitssinn der Toscaner schon bei den Monatsdarstellungen sich vorgespielt hatte. Und wie steht es mit dem berühmten trionfo della morte? Längst ist erkannt, dass ihm ein Roman zu Grunde liegt, der zwar didaktisch concipirt ist, aber doch das Lehrhafte vom Epischen hart bedrängen lässt. Die ganze Serie der Totentänze, die ein Niederschlag ausserordentlich lebhaft empfundener Volkserregungen sind und auf der Gasse und Bühne höchst leibhaftig erschaut wurden, sprengt die begriffliche Fassung durch die Wirklichkeit des vorgeführten Bildes.

Anders steht es wie gesagt mit der Kunst der Dominicanerkreise, die wir in der spanischen Kapelle, in St. Spirito, in den Eremitani in Padua, bei Maestro Stefano und Jacopo Traini, bei Giusto und Cennini finden. Hier ist wirklich die Entfaltung des Begriffs das einzige Ziel; eine Erweichung des Systems zu Gunsten der lebensvollen Einzelschilderung findet nicht statt. Aber der Sacramentcyclus fehlt auch hier.

Siena stellt sich zur Allegorie anders als Florenz. Gleich bei dem Vorwurf, an dem sich die florentiner Malerei am schnellsten zur Freiheit durchrang, beim Madonnenbild, setzt hier die Systematik ein. Das einfache Madonnenbild muss hier der Darstellung der Maestà weichen; die Himmelskönigin mit dem himmlischen Hofstaat erscheint statt der göttlichen Mutter. Ein Begrift, die gloria coelestis, ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν sucht hier Gestalt und Form zu gewinnen. Höchst bezeichnend ist dafür Simone Martini's Maestà in Palazzo pubblico in Siena Da umstehen nicht nur Heilige in weiten Scharen den Thron; ihn umschweben nicht nur die neun Chöre, Denominationen und Ordnungen der Engel, zu denen sich Patriarchen und Propheten gesellen. Sondern es fehlen auch die sieben Cardinaltugenden nicht und das Brustbild mit dem Januskopf auf dem unteren Rahmen hält zwei Rollen, die lex vetus (Decalog) und lex nova (sieben Sacramente). In jedem Stück verräth sich die Dogmatik der ganzen Auffassung. Auch in das mobile Altarbild dringt die Scholastik; in einem Bilde in Altenburg aus der Schule A. Lorenzettis6) windet sich zu Füssen der thronenden Himmelsherrscherin, denen Heilige assistiren, Eva im Staube mit der Schlange, auf die weisend ihr serpens me decepit wie eine Entschuldigung klingen soll. Mit Ambrogio Lorenzetti sind wir bei dem Künstler angelangt, der in der politischen Allegorie sein bedeutendstes Können entfaltete. Die Fresken des guten und schlechten Regiments, namentlich das Mittelbild, verzichtet auf jede anschauliche Schilderung und begnügt sich mit der begrifflichen Korrektheit. Gleichfalls der Schule gelehrter Dialektik entstammt sein Mappamondo, den er nach Tizio (Storia Senese ad annum 1344) in aula secunda balistarum publici Palatii in tela malba (cf. Milanesi, doc. Sen. I. 196). Ein Schüler von Ambrogio endlich, Paolo di maestro Neri (s. u.), war es, der in Lecceto bei Siena den Sacramentscyclus m. W. als der Einzigste gemalt hat.

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So weist uns schon allein der Stoff der Neapler Fresken mit mehr Wahrscheinlichkeit nach Siena als nach Florenz. Nun ist aber der Cyclus der Incoronata eine Allegorie ganz eigenster Art. Es gilt von ihr etwas ähnliches wie von Giottos Allegorie der Armuth in Assisi, deren metaphorischen Charakter Burckhardt (Cicerone6 532 c) deutlich umschrieben hat. Auch in Neapel sind begriffliche und historische Gedanken verschmolzen. Das kirchliche Dogma ist mit der höfischen Localchronik durchsetzt; die Sym

6) Katalog 1898, No. 49. Aehnliche Composition in Bonn, Universitätssammlung (Leihgabe aus Berlin) No. 1100, in Köln (Sammlung Schnütgen, aus der ehem. Sammlung Ramboux) und in Parma.

bole des quod semper, quod ubique, quod ab omnibus sind individualisirt nach Zeit, Ort und Handlung. Der sich dabei offenbarende Dualismus ist kein zufälliger, sondern absichtlicher. Das ist höchst lehrreich. Man empfand das Blutlose und Unzeitgemässe der scholastischen Doctrinen; man wagte nicht, sie zu beseitigen, da dann der nothwendige feste Rahmen für das Neue fehlte. Dies Neue aber bestand in Oberitalien wie in Unteritalien im Hervortreten des dynastischen Momentes. Jene schnell und kühn begründeten Condottiereherrschaften in Verona, Padua, Mantua, Ferrara, wo die Geschlechter der Scaliger, Carrara, Gonzaga, Este glänzende Tage einer rasch erworbenen Macht und eines individuellen Herrscherwillens feierten, finden weder in dem bürgerlich soliden und gegen jede Tyrannis misstrauischen Toscana noch in der damals verödeten Roma ihre Parallele; wohl aber in Süditalien, wo der hundertjährigen Normannenherrschaft die halbhundertjährige der Staufen gefolgt war, denen dann die Anjous Leben und Krone genommen hatten. Nicht die starke Rücksichtslosigkeit der kühnen Condottieri aus der Poebene findet sich bei diesen Angiovinen; sondern List und Verschlagenheit, Raffinement und Intrigue siegen hier und verhelfen schliesslich jener Johanna zum Thron, deren Wollust und Grausamkeit an merovingische Zeiten erinnert.

Die Incoronata-Fresken sind ein Beispiel für den Charakter der Huldigungen, die sich diese Frau wie hier in der Kunst, so allerseits erzwang. Ich beschreibe sie nicht im einzelnen; das haben Schulz, Kugler, Crowe-Cavalcaselle, Vilain, Foerster, Kestner, Aloë, Minieri Riccio bis zur Ermüdung besorgt. Die Localforschung hat sich bestrebt, sämmtlichen Hauptpersonen die Namen des angiovinischen Herrscherhauses im einzelnen zu substituiren. Bei manchen Gestalten mag es in der That zutreffen; so stimmt das Portrait Ludwig's von Tarent auf dem sechsten Bilde, dem Sacrament der Ehe, mit den Zügen des Königs, wie sie in den Miniaturen wiederkehren; in dem ihm gegenüber stehenden angetrauten Weib war dann vermuthlich Johanna portraitirt.6) Im Uebrigen ist es gleichgiltig, an wen im Einzelnen gedacht sein mag. Wichtiger ist der Charakter der Bilder im Allgemeinen. Und da giebt gerade dies erwähnte „Sacrament der Ehe" guten Aufschluss.

Hier merken wir, wie stark die Atmosphäre auf den Künstler wirkt. Der Maler war sicher ein Sienese; aber in der ganzen Trecentokunst Siena's finden wir, Ambr. Lorenzetti's Pax nicht ausgeschlossen, nicht solche blühenden, zarten, vornehmen Frauengesichter, wie die dieser Hofdamen (siehe Abbildung). Das ausgeschnittene Kleid lässt den Hals frei und die schöne Kurve des Nackens sehen. Das Haar wird mit einem feinen weissen Stirntuch und einer die Ohren verdeckenden, goldgewirkten und mit goldenen Buckeln verzierten Schärpe bedeckt, wie sie ähnlich auf dem Sacrament der Firmelung vorkommt. Auch die Männer tragen, so weit sie Laien sind, die enganschliessende burgundische Tracht, knappen

6) Leider ist gerade dieser Kopf „verdorben“, d. h. gewaltsam entfernt.

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dunklen Rock und helle Beintricots. Die Darstellung der Ehe, die eben jene nach so viel Schwierigkeiten und Kämpfen endlich erzwungene Hochzeit feiern sollte, wächst zu einem Repräsentationsbild pompösesten Glanzes aus. Die Wände der Festhalle sind mit Teppichen behängt, auf denen die angiovinische Lilie funkelt. Neben den Teppichen (vgl. die Zeichnung bei Crowe-Cavalcaselle, Deutsche Ausg. I 268, welche noch vor der Beschädigung gemacht wurde) halten nackte geflügelte Putten schwere Blattkränze. Der hohe Baldachin, unter dem das Brautpaar steht, die langen Tuben der Fanfarenbläser, die Flöten und Geigen, die tanzenden Paare alles kommt zusammen, um den Jubel des hohen Tages zu verrathen, um ein Hoffest im Castel nuovo der Parthenopeia „zeitgemäss“ zu schildern.

Einen Gegensatz zu diesem Bild der Freude und Pracht bildet die Bussscene des vierten Bildes. Wir werden an die furchtbaren Monate erinnert, in denen der schwarze Tod Länder verheerte, die Menschenschaaren zum Theil niedermähte und zum Theil zu den schauerlichen Bussübungen der Flagellanten drängte. Ein hochragender Bau, vielleicht ein Abbild von König Robert's Lieblingsstiftung, Sa. Chiara, füllt den oberen Theil des Frescos. In der geöffneten Halle des Unterbaues sitzt ein Priester im Beichtstuhl und lauscht dem Geständniss der vornehmen Frau, die angstvoll zu ihm aufblickt. Es kann kein Zweifel sein: die schuldbeladene Johanna beichtet hier; sie beichtet, dass sie von dem Anschlag in Aversa wusste, dem ihr erster Gemahl Andreas von Ungarn zum Opfer fiel; sie beichtet, dass sie auch weiss, wohin jene schönen edlen Jünglinge verschwunden sind, die ihre Schönheit verführt und missbraucht hatte. Der Priester hört die schauerliche Beichte und wendet entsetzt das schmerzlich verzogene Gesicht weg. In das Geflüster der Beichte aber klatschen die Peitschenschläge, mit denen die vermummten Gestalten rechts den nackten Rücken geisseln; und angstvoll mag die Seele des schuldigen Weibes dabei ahnen, dass es mit dem blossen Geständniss nicht gethan ist. Dies ergreifende Bild wird noch sonderbarer, wenn wir bedenken, dass Johanna selbst es malen liess oder jedenfalls billigte. Sie musste wissen, dass jeder Neapolitaner, der es sah, an sie und ihre Sünden denken musste. Diese beiden Proben mögen genügen, um sich den Charakter des ganzen Cyclus der Deckenbilder vorzustellen. Ausser diesen Gewölbefresken sind nur noch einige Bilder der oberen Seitenwände erhalten, Theile eines Cyclus, der einst die ganze Wand der Kapelle bis zum Chor bedeckte. Aus den bewundernden Berichten der alten Chronisten entnehmen wir, dass die Incoronata einen Cyclus etwa von der Ausdehnung desjenigen der Arena in Padua enthielt. Wenn schon die dem fernen Auge schwer erkennbaren Deckenbilder mit so viel Detail und Reichthum erfüllt waren, wie mögen dann erst die nahen Bilder der unteren Reihe ausgesehen haben! Jedenfalls sehr anders als die Fresken der Donna Regina, die nur zwanzig Jahre älter waren. In diesen sind Miniaturen dazu verarbeitet, grosse Wandflächen zu füllen; die Hilfe des Storch

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