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Für die Redaktion des Repertorium bestimmte Briefe und Manuskriptsendungen sind an Herrn

Prof. Hugo von Tschudi, Berlin C., K. Nationalgalerie

zu adressiren.

HARVARD COLLEGE LIBRA

SEP 28 1906

CAMBRIDGE, MASS

Noch einmal Raffael's Galatea.

Von Richard Förster.

Als Eugène Müntz über meinen in den „Farnesina-Studien“ (Rostock 1880) unternommenen Versuch einer Widerlegung der Hypothese, dass Raffael's Galatea in Wahrheit eine Venus sei, in seinem „Raphael" (Paris 1881 p. 509) urtheilte: Dès lors l'hypothèse à laquelle nous venons de faire allusion ne supporte plus l'examen, et il faut l'écarter définitivement du domaine de la discussion scientifique, ahnte er nicht, dass der Vertreter dieser Hypothese bereits mit einem neuen Vertheidigungsversuche auf dem Plane war. In dem Aufsatze: „Raphael's Galatea in der Farnesina zu Rom" (Funfzehn Essays, dritte Folge, Berlin 1882 S. 380-394)1) äusserte sich Herman Grimm zwar dahin, dass seine „im Laufe von etwa 20 Jahren geäusserten, Raphael's Galatea betreffenden Meinungen von mir zum Theil als unhaltbar nachgewiesen worden seien" (S. 385), im Uebrigen aber müsse es dabei verbleiben; „Raphael's Gemälde stelle den Zug der Venus dar, wie Apulejus ihn im Psychemärchen erzählt“ (S. 391); nur die eine Gruppe des eine Nymphe umarmenden Triton habe Raffael anderswo her, nämlich aus einem Gedichte des Pontanus,2) entnommen, und diese Nymphe, welche in Wahrheit Galatea sei, habe veranlasst, dass das Gemälde einen falschen Namen Galatea" erhalten habe. Während nun Scherer nicht anstand, in einer Besprechung der „Funfzehn Essays" (Deutsche Litteraturzeitung 1883, No. 14) zu erklären:,,So spricht uns die Verwertung einer Ode des Pontanus für

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1) Ein Theil dieser Ausführungen war in einer Besprechung meiner „Farnesina-Studien" in der Deutschen Rundschau (6. Jahrg., Heft 9, Juni 1880, S. 464-467) vorweggenommen, und der grösste Theil ist in dem Leben Raphael's“ 3. Auflage, Berlin 1896 S. 171-184 wiederholt.

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2) Dieser ist offenbar unbewusst von Grimm (Deutsche Litteraturzeitung 1893, No. 22, S. 692) selbst wieder beseitigt und durch Sannazar ersetzt, wenn es heisst: „An die Flucht der Galatea sei erinnert, die Raphael dem Gedichte Sannazar's entnahm, den Moment darstellend, wo die Nymphe von Polyphem eingeholt und geküsst wird."

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Raphael's Galatea sofort an", äusserte sich Heinrich Fischer) (Lessing's Laokoon und die Gesetze der bildenden Kunst, Berlin 1887 S. 72) in völlig entgegengesetztem Sinne dahin:,,Nachdem Raffael's Galatea 367 Jahre lang gegen diejenigen, welche sie für Venus ausgeben wollten, ihre Identität siegreich behauptet hat, kommt plötzlich ein neuer Feind (Herman Grimm), der ihr beweist, sie sei überhaupt gar nicht sie selbst, sondern die Nymphe im Vordergrunde links, welche von den Armen des Triton gehalten werde, der aber auch nur als Triton verkleidet sei, inwendig aber Polyphem heisse; auf der Muschel hingegen stehe in der That Venus u. s. w." Ich hätte es der Zeit, als der Richterin über alles, überlassen können, zu entscheiden, welche von beiden Ansichten die richtige sei. Aber da ich durch erneute Beschäftigung mit der Frage und wiederholte Autopsie eine Vertiefung des Verständnisses der raffaelischen Schöpfung gewonnen zu haben glaube, so erlaube ich mir die Ergebnisse meiner erneuten Durcharbeitung des Problemes weiteren Kreisen vorzulegen. Und zwar will ich zuerst Grimm's letzte Einwände gegen „Galatea" prüfen, sodann die mir richtig scheinende Auffassung der Darstellung und die daraus folgende Würdigung der raffaelischen Schöpfung geben.

Die stärkste Stütze der „Galatea", den Polyphem im Nebenfelde, glaubt Grimm zunächst (S. 386) mit der Bemerkung beseitigen zu können:,,So wie er heut dasteht, lässt sich weder überhaupt die Hand eines Künstlers heraus erkennen, noch sagen, wie die Figur anfänglich gestaltet war.“ Aber damit ist der Kern der Sache nicht getroffen. Es ist richtig: die Figur ist 16504) übermalt, so dass sich aus der Malweise keine Entscheidung der Frage, ob Raffael oder Sebastian del Piombo ihr Maler war, gewinnen lässt. Aber an der Conception und den Umrissen der Figur ist durch die Uebermalung nichts geändert. Der dem Marco Dente 5) zugeschriebene Stich zeigt die Figur in allem Wesentlichen übereinstimmend und geht auf eine Zeichnung zurück, welche bereits die Elemente des Fresco enthielt.

Aber selbst die blosse Anwesenheit des Polyphem fordert eine Galatea, da er nur um ihretwillen da ist.

Auch der zweite Satz, mit welchem Grimm diese Stütze der „Galatea" zu beseitigen sucht: „Der Kyklop auf seiner von zwei Pilastern begrenzten Wandfläche kann, als für sich bestehende Arbeit, hier kaum zu der in sich abgeschlossenen Composition der dahinfahrenden Göttin mit

3) Ablehnend äusserte sich ausser Cugnoni in „Nel Centenario di Raffaello da Urbino, Roma 1883", auch Hubert Janitschek Lit. Centralblatt 1884 No. 13. 4) Vgl. Farnesinastudien S. 37 und Crowe und Cavalcaselle, Raffael, aus dem Englischen, II S. 168.

5) Bartsch, Peintre graveur XIV p. 182 n. 224. Vgl. Farnesinastudien S. 56. Was Giacometti, Notice sur l'esquisse originale de fresque de Raphael d' Urbino, représentant le Triomphe de Galaté, Paris 1875 vorgebracht hat, weiss ich nicht, da ich diese Schrift nicht erlangen konnte,

ihrem Gefolge nebenan in Wechselbeziehung gesetzt werden", erweist sich als nicht stichhaltig. Dass Figuren, welche nicht in der Fläche eines Bildes zusammengefasst, sondern durch einen Pilaster geschieden sind, auch nicht in den Rahmen Einer Handlung gefasst, mithin nicht einer einheitlichen Deutung unterworfen werden dürfen, wird durch Kunstwerke fast aller Zeiten widerlegt. Gehören nicht die Nereiden des sogenannten Nereidenmonuments oder „die Trauernden" des Sarkophags von Sidon oder die Danaiden sammt ihrem Vater Danaos in der Porticus des Apollotempels auf dem Palatin6) trotz der sie trennenden Säulen zusammen? Und wie oft sind gleichartige Figuren wie Apostel, Heilige u. a. auf die Flügel eines Altars vertheilt. Aber auch bei nicht gleichartigen, und doch zusammengehörigen Figuren findet räumliche Trennung statt: so wenn, wie in der Kirche des ehemaligen Klosters Heinrichau die salutatio Beatae Virginis Mariae auf zwei, den Pfeilern zu beiden Seiten des Hauptaltars angepasste Tafel-Bilder) vertheilt ist, von denen das linke (mit der Ueberschrift: Ecce Ancilla Domini) die Maria, das rechte (mit der Ueberschrift: Ave gratia plena) den Engel darstellt. Und selbst wo es sich um eine grössere Composition handelt, ist bisweilen eine Vertheilung der Figuren auf zwei Flächen oder Platten erfolgt; so wenn der Kampf des Herakles mit Geryones an der Ostseite des Theseion zwei Metopen einnimmt, von denen die eine Herakles und den sterbenden Hirten Eurytion, die zweite den dreileibigen Geryones zeigt8); oder wenn die Beschützung der von Menelaos verfolgten Helena durch Aphrodite auf zwei Metopen der Nordseite des Parthenon vertheilt ist9); oder wenn im Gemäldecyclus des Panainos an den Schranken des Zeus von Olympia die Hesperiden von Atlas und Herakles getrennt waren (Paus. V, 11, 5. Petersen, Mitth. des Arch. Inst. in Rom XIV, 162); oder wenn, um ein drastisches Beispiel aus der neuesten Zeit anzuführen, der Vorgang, dass Herzog Albrecht von zwei Mädchen rasirt wird, in einem der Wandgemälde der Albrechtsburg bei Meissen von Julius Scholtz auf zwei sogar durch ein Fenster getrennte Wandflächen gebracht worden ist.

Es kann sich immer nur darum handeln, zu fragen, was den Künstler zu einer solchen räumlichen Trennung veranlasste.

Raffael oder, was hier ein für allemal gesagt sein möge, Sebastian del Piombo, von welchem vermuthlich nicht nur der Polyphem, sondern auch die Idee der ganzen Composition herrührt, fand die Eintheilung der Wand in Felder, welche durch vorspringende Pilaster getrennt sind, vor: sie ist das Werk des Peruzzi. Mit ihr musste er rechnen. Sollte Galatea und Polyphem gemalt werden, hatte er nur die Wahl, im Rahmen Eines Bildes neben dem riesigen Kyklopen die Galatea in winzigen Dimensionen vorzu

6) Prop. III, 29(31), 3. Ovid Am. II, 2, 4. Trist. III, 1, 62.

7) Dieselben stammen aus der Wende des XVII. und XVIII. Jahrhunderts. 8) Sauer, das sogen. Theseion, Tafel VI, Ost VIII und IX, S. 169 und 176. 9) Michaelis, Parthenon Tafel IV, 24 und 25, S. 139.

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