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mit neuen, geradezu mustergiltigen Reglements ausgestattet, die tactischen Uebungen vollziehen sich mit Ernst und Eifer, der Administrations-Apparat functionirt verlässlich und geläufig, und der Umschwung in der militärischen Ausbildung und Disciplin ist für Kenner der früheren Verhältnisse sehr in die Augen springend. In manchen Dingen überragt sogar die französische Armee heute schon alle übrigen; wir nennen da nur die Formirung der Douaniers und Forestiers (Zoll- und Forst-Wächter) zu einem formidablen Kriegs-Corps von 20.000 Mann, die Herbeiziehung der Marine-Truppen (als 20. Armee-Corps) zur Feld-Armee, die militärische Organisirung des gesammten Landes-Eisenbahn - Personales, die Errichtung von Eclaireurs-Escadronen im Kriege aus Freiwilligen der bemittelteren Stände u. dgl. m.

Zieht man nun noch zwei andere sehr gewaltige Factoren, d. i. die unendlich reichhaltigen Geldmittel, sowie die hohe Culturstufe des Landes und den über alles Lob erhabenen Patriotismus des Volkes in Betracht, so muss unstreitig der Ansicht derjenigen beigepflichtet werden, welche in dem heutigen militärischen Frankreich neuerdings eine Macht von hervorragender Bedeutung erblicken.

Zu unserer Aufgabe zurückkehrend, wollen wir nun unseren Lesern aus der Reihe der militär-legislatorischen Arbeiten, welche jüngster Zeit in Frankreich zum Abschluss gelangt sind, oder mindestens dem Abschlusse sich nähern, jene hervorheben, die ein besonderes Licht auf die Neugestaltung der Armee werfen. Diese Schlusssteine in dem grossen Baue des Heeres-Reformwerkes sind: das Heeres-Administrations-Gesetz, das Generalstabs-Gesetz, das Unterofficiers-Gesetz, das Requisitions- und das Sanitäts-Gesetz.

Für die ersten drei konnte bis jetzt die Sanction des Präsidenten der Republik nicht eingeholt werden, weil kurz vor Beendigung der betreffenden Parlaments-Debatten die National-Versammlung aufgelöst wurde. Obschon an den vielfach durchberathenen Entwürfen, wie sie letzthin der Kammer vorlagen, kaum mehr erhebliche Aenderungen zu erwarten sind, so wollen wir doch mit der Bekanntgabe derselben so lange zuwarten, bis sie durch die erfolgten Promulgirungen Gesetzeskraft erlangt haben werden. Dagegen können wir unsere Leser mit dem vollen Wortlaut der beiden anderen Publicationen schon jetzt bekannt machen.

Das neue Requisitions-Gesetz vom 3. Juli 1877 lautet:

I. Capitel.
Allgemeine Normen.

„Art. 1. Im Falle einer vollständigen oder theilweisen Mobilisirung der Armee, oder bei Truppen-Concentrirungen hat der Kriegs-Minister jeweilig den Termin zu bestimmen, von welchem angefangen in ganz Frankreich oder nur in einzelnen Theilen des Landes die Verpflichtung eintritt, der Armee jene Bedürfnisse zu liefern, welche sie im Wege der gewöhnlichen Verpflegung nicht beizuschaffen vermag.

Art. 2. Solche Lieferungen geben das Recht zu einer Vergütung nach ihrem wahren Werthe.

Art. 3. Das Requisitions-Recht steht der Militär-Behörde zu. Die diesfälligen Anforderungen müssen immer schriftlich geschehen und mit einer Unterschrift versehen sein; sie haben die Gattung und Quantität der Lieferung und womöglich auch die Lieferungsdauer zu enthalten.

Art. 4. Ein eigenes Administrations-Reglement wird die DurchführungsBestimmungen und die Normen über Form und Grenzen der Requisitionen allgemein bekannt geben.

II. Capitel.
Requisitions-Objecte.

Art. 5. Im Wege der Requisition ist den Militär-Behörden Folgendes zu beanspruchen gestattet und sind folgende Gegenstände an die Armee zu überlassen:

a) die Unterkünfte für Personen beim Hausbewohner, die Cantonnirung für Mannschaft, Pferde und Thiere in disponiblen Räumlichkeiten und die Ueberlassung der nöthigen Gebäude für die verschiedenen Personal- und Material-Dienste des Heeres;

b) die tägliche Verpflegung für Officiere und Mannschaft beim Hausbewohner nach den Landes-Gepflogenheiten;

c) Lebensmittel, Brenn-Material, Fourage und Lagerstroh für die gesammte Armee;

d) Bespannungs- und Transports-Requisiten jeder Art, einschliesslich des Personales hiezu;

e) alle Schiffe und alle Einschiffungsmittel, welche an Flüssen, Seen und Canalen vorhanden sind;

f) alle Mühlen und Backöfen:

g) Werkzeuge, Materiale, Maschinen und Apparate, insofern sie zur Herstellung von Wegen, sowie zu militärischen Arbeiten überhaupt benöthigt werden;

h) Führer, Boten und Arbeiter jeder Kategorie;

i) Behandlung und Verpflegung Kranker und Verwundeter bei den Hausbewohnern;

k) alle Gegenstände der Bekleidung, Ausrüstung, Lagerung, Beschirrung, Bewaffnung, dann die nothwendigen Verbandstücke und Medicamente;

endlich auch alle anderen Gegenstände und Dienste, deren Ablieferung der Armee unumgänglich nothwendig ist.

In Friedenszeiten dürfen nur die in den ersten fünf Puncten aufgeführten Lieferungen im Requisitions-Wege gefordert werden und auch unter diesen nur die Pferde-Beschirrungen, Transport-Mittel, Schiffe und Embarcations-Stücke für längstens 24 Stunden.

Art. 6. Requisitionen, welche die Benützung von Industrie-Etablissements zu Zwecken beanspruchen, die diesen Industrie-Etablissements in der Regel nicht eigen sind, dürfen nur auf speciellen Befehl des Kriegs-Ministers oder eines Armee- oder Corps-Commandanten geschehen.

Art. 7. Im Nothfalle können in Festungen, über Anordnung des KriegsMinisters oder der höchsten Platz-Behörde, Requisitionen behufs Verpflegung der Civil-Bevölkerung durchgeführt werden.

III. Capitel.

Bequartierung und Cantonnirung.

Art. S. Die Unterkunft der Truppen in den Stationen oder auf Märschen bei den Hausbewohnern besteht in der Unterbringung von Soldaten, Pferden, Thieren und Material in den Häusern, Stallungen und Schupfen, falls nämlich in dem Stations-Orte keine Casernen vorhanden sind. Diese Unterbringungen haben nach den vorhandenen Räumlichkeiten und im Einklange mit den bestehenden militärischen Vorschriften zu geschehen.

Die Cantonnirung besteht in der Unterbringung von Soldaten, Pferden, Thieren und Material in Häusern, Etablissements, Stallungen und anderen Raulichkeiten, gleichviel ob sie Privat-Personen, Gemeinden oder dem Staate gehören, ohne Rücksicht auf die militärisch-reglementarischen Vorschriften für Friedens-Unterkünfte. Den Eigenthümern oder Bewohnern müssen indessen die für dieselben unumgänglich nothwendigen Räume stets überlassen bleiben.

Art. 9. Sollte es der Militär- Verwaltung in den Garnisonen oder Festungen an den nöthigen Militär-Gebäuden für Truppen-Unterkünfte fehlen, so können im Sinne des Artikel 5 von den Municipalitäten Miethlocale oder die Bequartierung von Officieren und Soldaten bei den Ortsbewohnern und die Unterbringung von Pferden und Material in den Privat-Häusern verlangt werden.

Art. 10. Die Gemeinden sind verpflichtet, genaue Register über Wohnungen, Etablissements und Stallungen zu führen, welche zur Unterbringung und Cantonnirung von Truppen geeignet sind. Diese Register haben der Kriegs-Verwaltung vorgelegt zu werden, welche berechtigt ist, diesbezügliche Revisionen vornehmen zu lassen.

Art. 11. So oft Truppen bequartiert oder cantonnirt werden müssen, erhalten vorher die Gemeinden die Verständigungen, um rechtzeitig mit Billeten die Bequartierung nach tactischen Einheiten bewirken zu können.

Art. 12. In der Repartirung der Bequartierungslast dürfen die Gemeinden keine Personal-Rücksichten eintreten lassen; doch sind von der Einquartierung zu befreien: die Verwahrer öffentlicher Cassen, Witwen und ledige FrauensPersonen, sobald sie allein wohnen, ferner die Nonnenklöster. Auch diese haben indessen einer entsprechenden Geldleistung sich zu unterziehen, deren Höhe von den Gemeinden bestimmt wird.

Officiere und Militär-Functionäre sind nur dann gehalten, in ihren Natural-Wohnungen Bequartierungen anzunehmen, wenn diese Wohnungen die chargenmässige Competenz überschreiten. Im eigenen Besitze sind Officiere und Militär-Functionäre gleich allen anderen Privat-Personen zu behandeln. Art. 13. Die Gemeinden haben auch darüber zu wachen, dass die Bequartierungslasten durchgehends gleich vertheilt erscheinen. Die Wohnungen der Abwesenden können nur im Mobilisirungsfalle gewaltsam geöffnet werden.

Art. 14. Die Truppen sind verantwortlich für Schäden und Zerstörungen, welche durch sie verursacht werden. Diese Schäden müssen jedoch sofort nach Abzug der Truppen angezeigt werden, damit sie durch eine Commission, welcher ein zurückgebliebener Officier beizuziehen ist, verificirt werden können.

Art. 15. Die Bequartierung der Truppen gibt in der Regel bei Märschen, Concentrirungen, Detachirungen und Cantonnements das Recht auf Entschädigung der Belasteten. In den nachstehenden Fällen hat jedoch keine Entschädigung Platz zu greifen:

a) Wenn die durchziehende Truppe nicht länger als drei Nächte (per Monat) an Ort und Stelle verbleibt;

b) wenn die Cantonnirung anlässig der Abhaltung von Manövern geschieht;

c) wenn die in Rede stehende Leistung im Mobilisirungs-Orte erfolgt, auf die Dauer dieser Mobilisirung.

Art. 16. In allen Fällen haben die untergebrachten Truppen ein Recht auf Beheizung und Beleuchtung seitens der Hausbewohner.

Art. 17. Sobald die Bequartierung der Truppen ohne Anspruch auf Entschädigung der Belasteten geschieht, verbleibt der Dünger das Eigenthum dieser letzteren; im entgegengesetzten Falle wird er Eigenthum des Aerars.

Art. 18. Ein besonderes Administrations-Reglement wird die Durchführungs-Bestimmungen und die einzelnen Tarife für die Truppen-Bequartierung allgemein bekannt geben.

IV. Capitel.
Requisitions-Vorgang.

Art. 19. Jede militärische Requisition muss vorerst den CommunalBehörden bekannt gegeben und soll in der Regel mit Zuziehung dieser letzteren und gegen Abgabe ordnungsmässiger Bestätigungen bewirkt werden. Nur in Abwesenheit der Communal-Functionäre oder bei besonderer Dringlichkeit darf die Militär-Behörde die nothwendigen Requisitionen direct bei den Ortsbewohnern zur Durchführung bringen.

Die Requisitionen dürfen sich nur auf wirklich vorhandene Gegenstände erstrecken und sollen nie den ganzen Vorrath absorbiren.

Art. 20. Der Gemeindevorsteher mit zwei Gemeinderäthen und zwei Ortsbewohnern bilden die Orts-Commission, welche das abzuliefernde Quantum in entsprechender Weise repartirt, und Vorkehrungen trifft, dass auch der Leistungspflicht der Abwesenden strenge nachgekommen werde. Es steht der Gemeinde frei, die Gesammt-Requisition direct zu liefern und das Ganze im Gemeinde-Budget zur Verrechnung zu bringen.

Art. 21. Im Falle der Verweigerung einer gesetzlich gerechtfertigten Requisitions-Lieferung verfällt der Gemeindevorsteher oder dessen Stellvertreter einer Strafe je nach Umständen zwischen 25 und 500 Francs. Gegen

Organ der milit.-wissenschaftl. Vereine. XV. Bd. 1877.

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bösen Willen der Ortsbewohner ist die Anwendung der Gewalt seitens der Militär-Behörde gestattet; die Bewohner selbst werden durch Abnahme des doppelten Quantums bestraft.

In Friedenszeiten ist Jedermann, welcher den Dienst, für welchen er requirirt wurde, eigenmächtig verlässt, mit einer Strafe von 16 bis zu 50 Francs zu belegen. In Kriegszeiten hat das Kriegsrecht eine Arrest-Strafe von fünf Tagen bis zu fünf Jahren zu verhängen.

Art. 22. Jeder Requirirende, welcher seine Befugnisse missbraucht oder die Bescheinigung der im Requisitions-Wege empfangenen Quantitäten verweigert, ist nach dem Militär-Strafgesetze, Artikel 194 und 248, und wenn unbefugte Requisitionen mit Gewalt durchgeführt werden, nach Artikel 250 zu bestrafen.

Art. 23. In Marine-Plätzen sind die Besitzer oder Capitäne von Schiffen, Booten und Einschiffungen aller Art gehalten, diese Gegenstände im Requisitions-Wege der Militär-Behörde auszuliefern, welche gleichzeitig auch das hiezu nöthige Personal in Anspruch nehmen kann.

V. Capitel.
Ersatz-Vorschriften.

Art. 24. Sobald die Nothwendigkeit der Requisitionen eintritt, bestellt der Kriegs-Minister in jedem Departement eine Commission, welche damit beauftragt wird, die Entschädigungen festzustellen, welche jenen Personen oder Gemeinden zuzuerkennen sind, die Requisitions - Lieferungen geleistet haben.

Diese aus Civil- und Militär-Personen gebildete Commission wird nach einem bestimmten Administrations-Reglement zusammenzusetzen sein.

Art. 25. Der Vorsteher einer jeden Gemeinde, in welcher Requisitionen vorgenommen wurden, hat der obgenannten Commission in kürzester Zeit einen detaillirten Bericht über die bewirkten Lieferungen zu erstatten. Die Commission entwirft hierauf den Entschädigungsvorschlag und die MilitärBehörde bezeichnet endgiltig die Höhe des Ersatzes für jede einzelne Lieferung.

Art. 26. Binnen drei Tagen müssen die Beschlüsse der MilitärBehörde den Gemeindevorstehern bekannt gegeben werden, wogegen den Einzel Lieferanten eine Frist von 14 Tagen zugestanden ist, um gegen die Entschädigungs- Taxirungen der Militär- Behörde zu recurriren. weiteren Verhandlungen geschehen in Recurs-Fällen vor den competenten Gerichten.

Die

Art. 27. Nach Ablauf des im letzten Artikel erwähnten 14tägigen Termines verfasst der Gemeindevorsteher eine Total-Uebersicht, auf welche hin die Militär-Intendanz der Gemeinde die entsprechende Geldanweisung verabfolgt. Diese Anweisungen müssen sofort baar ausgelöst werden. In Kriegszeiten sind fünfpercentige Schatzscheine zulässig.

Art. 28. Der Gemeindevorsteher ist gehalten, unverzüglich nach Empfang des Geldes, den einzelnen Lieferanten ihre Antheile auszubezahlen.

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