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Päpste handeln; solche auszuleihen wäre ganz zwecklos. Anzunehmen dagegen ist, dafs die dionysisch - hadrianische Sammlung gemeint ist. Papst Hadrian I. hat im Jahre 772 dem König Karl I. eine Sammlung päpstlicher Erlasse zukommen lassen. Diese Sammlung ist im Frankenreiche sehr angesehen gewesen; sie mag erweitert oder verändert gewesen sein; wie sie ausgesehen hat, was sie wörtlich enthielt, kann man nicht sagen. Der Grundstock der 'decreta pontificum Romanorum' besteht jedenfalls in der dionysisch-hadrianischen Sammlung. 1) Bei dem liber Sedulii wird es sich um das carmen paschale 2) des Caelius Sedulius (5. Jahrhundert) handeln. Man könnte vielleicht auch an den Sedulius aus Lüttich (Sedulius Scotus, c. 840) denken, der ein 'liber de rectoribus christianis et convenientibus regulis, quibus est res publica rite gubernanda' geschrieben hat. Jedoch ist anzunehmen, dafs in diesem Falle eine genauere Notiz nicht unterlassen wäre. Der Sedulius des 5. Jahrhunderts, der Verfasser des carmen paschale, ist im Mittelalter durch das ganze Abendland sehr verbreitet gewesen; bei Sedulius ohne nähere Angabe ist nur an diesen zu denken.

Viele der übrigen Bücher sind so ungenau bezeichnet, etwa allein mit librum oder libellum, bei anderen wieder sind die Autoren gelöscht, so dafs nur Bruchstücke von Namen zu lesen sind. Ueber diese Bücher ist hier nichts zu sagen, sie haben allein statistisches Interesse. Etwas anders steht es um die grofse Anzahl der liturgischen Bücher. Von den vielen Hilfsmitteln, die das kanonische Stundengebet 3) nach und nach verlangt hat, stehen Psalterium und Lektionarium an erster Stelle. In diesen Notizen werden als ausgeliehen gezählt 20 Psalterien und 4 Lektionarien. Wahrscheinlich hat je ein Mitglied der Kongregation ein Psalterium sein eigen nennen wollen und darum eine Abschrift angefertigt oder anfertigen lassen. Auch die Missalien, Antiphonarien und Gradualien, von denen je acht genannt werden, sind für gottesdienstliche Verrichtungen unentbehrlich.4) Die Bibliothek und ihr Ausleihverkehr hat zur Verbreitung und Vervielfältigung der Bücher beigetragen.

Zu diesen Büchern gesellen sich im Ausleihverzeichnis einige Kleidungsstücke, die teils ebenfalls liturgische Verwendung gefunden haben, teils dem praktischen Gebrauch im klösterlichen Leben entsprechen. Die cingula (zweimal) und die stola (einmal) gehören zu

1) Vgl. die Annales regni francorum zu 802.

2) Caelii Sedulii carmen paschale ... bei Migne, Patrologia latina tom. XIX. S. 533 ff.

3) Vgl. J. B. Sägmüller, Lehrbuch des kathol. KR. 1910. S. 240. 4) Im einzelnen kann ich hier natürlich nicht weiter auf diese liturgischen Bücher eingehen. Zu vergleichen sind die Handbücher der katholischen Liturgik von V. Thalhofer I. 1, in zweiter Auflage besorgt von A. Ebner, Freiburg 1894 und der Pastoraltheologie von J. Schüch, 13. Aufl., besorgt von Polz, Innsbruck 1905. Auch die einschlägigen Artikel im Kirchenlexikon von Wetzer u. Welte geben Aufschluss.

der ersten Gruppe, 1) die casula (dreimal) und das sagum plumosum (Reisemantel, Federmantel?) zu der zweiten Gruppe.

Aus diesen Aufzeichnungen ist für die Verwaltung der Klosterbibliothek in Weifsenburg mancherlei zu entnehmen. Zunächst, im Anschluss an das zuletzt Gesagte, ist klar, dafs es sich um eine gemeinsame Aufzeichnung aus camera und bibliotheca handelt. Vermutlich ist der bibliothecarius auch vesterarius gewesen. Die Bücher haben die Brüder wohl in allen Fällen zur Herstellung einer Abschrift erhalten; nach Vollendung der Abschrift sind die Bücher zurückgegeben und die betreffenden Bemerkungen mit Bimstein getilgt. Hat ein Bruder z. B. mehrere Psalterien, etwa vier -entliehen,

gibt er davon eines zurück, so wird einer der vier Striche gelöscht. Ist von einem Entleiher alles zurückgegeben, dann wird die ganze Reihe neubeschrieben, nachdem sie vorher mit Bimstein nicht gerade sehr sorgfältig abgerieben ist. Die liturgischen und Gebrauchs-Gewänder sind von dem bibliothecarius, der hier als vesterarius fungiert, der camera entnommen und den Brüdern leihweise zur Benutzung überlassen. Wenn die Gewänder abgenutzt oder unsauber geworden sind, hat der bibliothecarius sie wieder zurückgenommen und in die camera zur Ausbesserung abgegeben. Dafs unter den Entleihern sich auch einige Frauen befinden, ist nicht besonders merkwürdig. Es ist nicht ohne weiteres anzunehmen, dafs diese Frauen soviel lateinisch verstehen, dafs sie die Bücher selbst benutzen können. Immerhin ist ja bekannt, dafs vereinzelte vornehme Frauen schon im frühen Mittelalter in Deutschland des Lateinischen mächtig gewesen sind. Andererseits können diese Frauen die Bücher entliehen haben für den Geistlichen ihrer Eigenkirche; auch eventuell zu dem Zweck, Illuminationen daraus kopieren zu lassen.

Ich habe oben auf S. 443 allerdings in eckigen Klammern [] die Zeilen 24-26 von fol. 113' nach der Lesung Kelles wiedergegeben. Ich selbst habe ohne Reagentien hier aufser einigen Oberlängen nichts lesen können. Die Anwendung von Reagentien hat die Direktion der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel in sehr verständiger Weise. nicht zugelassen. Wenn man sieht, wie dies eine interessante Blatt und das folgende Schutzblatt durch die Anwendung von Säuren angegriffen ist, dann soll man allein, um die vorhandene Ueberlieferung zu bewahren, die Anwendung von Reagentien vermeiden. Einer Bibliotheksverwaltung, die dementsprechende Benutzungsvorschriften erläfst, gebührt also nur der Dank der wissenschaftlich Arbeitenden, kein Vorwurf irgendwelcher Art.

Kelle hat zunächst die beiden Seiten durch 0. V. Heinemann in Wolfenbüttel mit Säuren bearbeiten lassen. Später ist ihm der Codex nach Prag geschickt worden und da hat er einen wahrlich glänzenden

1) Dasselbe gilt hier auch von Stola und Cingulum, wie von Antiphonar, Graduale usw.: vgl. K.-L.'

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Wo heute nur einige hat Kelle nach An

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Erfolg mit der Anwendung von Reagentien erzielt. Spuren von Oberlängen zu entdecken sind, da wendung von Reagentien gelesen: Fr. eps hab. evangel. theodisc. D. . . g . . . b .. tiu Bedauerlich ist, dafs Kelle sein hervorragendes Mittel mit ins Grab genommen hat. Auf diese Lesung hin stellt Kelle folgende Behauptung auf: Der Bischof von Freising hat aus der Weifsenburger Klosterbibliothek ein deutsches Evangelium ( Evangelienbuch) entliehen. Dies Evangelienbuch ist das Otfrids gewesen. Otfrids Evangelienbuch ist nach dem Weissenburger Exemplar in Freising abgeschrieben und diese Abschrift liegt vor in dem früher Freisinger, jetzt Münchener Codex des Otfrid. Nachdem der Bischof von Freising das Buch hat abschreiben lassen, ist es wieder zurückgeliefert und die betreffende Notiz ist getilgt. Nun ist ja der Codex F (M) die jüngste Otfridhandschrift, aber doch ist sie Ende des 9. Jahrhunderts entstanden; der Schreiber Sigihart hat sie auf Befehl des Bischofs Waldo (884-906) angefertigt. Es wäre also diese Notiz rund dreiviertel Jahrhundert älter als alle sonstigen Bemerkungen. Ich mufs sagen, mir scheint das sehr unwahrscheinlich. Dafs der Bischof Waldo persönlich die Verleihung der Otfrid - Handschrift nach Freising erwirkt hat, ist durchaus denkbar; dafs man sich in Weissenburg eine Notiz darüber gemacht hat, ist sehr natürlich. Aber hier, Cod. Weiss. 35, fol. 113' Zeile 24-26 hat nichts davon gestanden. Ich gebe zu, manche alte Bibliotheksnotizen, die nachher getilgt sind, können schon im 9. Jahrhundert auf diese beiden Blätter eingetragen sein. Aber warum gerade so mitten auf die Seite? Wenn fol. 113' von Zeile 1-14 einheitlich beschrieben gewesen ist, ehe die Seite zu Bibliothekseintragungen benutzt ist, dann sollte man annehmen, die ersten Eintragungen des Bibliothekars sind erfolgt Zeile 15 ff., wenn er Zeile 1-14 intakt läfst, oder sie sind erfolgt Zeile 1 ff., oder fol. 114 Zeile 1 ff. Bei der Sparsamkeit, die bei der Verwertung von Pergament angebracht und durchgeführt ist, wird sich niemand einfallen lassen, unmotiviert eine freie Seite am Schlusse eines Codex mit gröfster Raumverschwendung zu beschreiben. 17-23 sind meiner Meinung nach nie beschrieben und radiert ge

wesen.

Zeile

Anders steht es, wenn das Ausleiheverzeichnis bereits längere Zeit im Gange ist, wenn durch die vielen Rasuren und Neubeschreibungen das Blatt schon unansehnlich geworden ist: dann wird der Bibliothekar aus besonderen Anlässen auch hier und dahin schreiben, wo es ihm pafst. Die Notiz auf Zeile 24-26 wird eine Notiz aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts sein, wie die Mehrzahl der Notizen. In Freising hat man damals selbst seinen Otfrid gehabt und keinen Grund, ihn aus Weifsenburg zu leihen etwa um zu kollationieren. Was Kelle gelesen hat, kann also nicht hier gestanden haben, denn 1. würde die Notiz zeitlich nicht stimmen und 2. ist nichts davon zu lesen mehr.

Göttingen.

Otto Lerche.

Eine wiederaufgefundene Bücherei.

Vor einiger Zeit bat mich ein angesehenes Mitglied unserer Kirchengemeinde, Herr Rittergutsbesitzer Major a. D. Opitz von Boberfeld auf Witoslaw, einmal zu ihm herauszukommen und eine alte Bücherei zu besichtigen, die sich von der Väter Zeiten her auf seinem Schlosse befinde und jetzt verkauft werden solle. Auf dem schönen, 2 Meilen von Lissa bereits im Kreise Schmiegel gelegenen Herrensitz erfuhr ich Näheres über die Geschicke jener Bücherei. Viele Jahrzehnte war sie gänzlich unbeachtet geblieben und hatte völlig verstaubt in einem unbenutzten Zimmer gelegen. Der Major erinnerte sich, dafs er sich als junger Mann mit Vorliebe von den schweinsledernen Bänden die Strippen abgeschnitten, um sie zum Spannen seiner Reithosen zu verwenden. Das war der einzige Gebrauch, der von den Büchern gemacht wurde. Hernach wurde der Raum, in dem sie lagen, gelegentlich einer baulichen Veränderung sogar vermauert, sodafs die kleine Bücherei vollends in Vergessenheit geriet. Als aber vor einigen Jahren ein grofser Umbau des alten Herrenhauses vorgenommen wurde, kam sie wieder ans Tageslicht und wurde zunächst in der Hast der Bauzeit in den Dachraum des nahen Inspektorhauses geschafft. Das ist ihr leider nicht gut bekommen. Regen und Schnee drangen hinein, und vor allem suchten wifsbegierige Ratten in den alten Bänden ihre Nahrung. Da erbarmte sich die Schlofsfrau der armen preisgegebenen Schar und brachte sie in einen gegen Wetter und Nagetiere geschützten heizbaren Raum desselben Gebäudes. Dort fand ich sie in grofsen Haufen liegen und machte mich nun daran, sie durchzusehen und ein Verzeichnis aufzunehmen. Bald wusste ich, woher die Bücherei stammte. Die Vermutungen, mit denen ich an die Arbeit herangetreten war, bestätigten sich vollauf. Den Grundstock bildete die Bibliothek des Lissaer Predigers Salomon Opitz, eines Vorfahren des Schlofsherrn sowie seiner Gemahlin, die zugleich die Tochter seines Vetters ist. Dazu war dann der Erwerb der Nachkommen jenes Geistlichen getreten, von denen nur noch einer Prediger, andere Juristen und Mediziner geworden waren, bis später in der in den Adelstand erhobenen Familie die Landwirtschaft die anderen Berufe verdrängte.

Jener Salomon Opitz1) ist in Lissa im Jahre 1650 geboren und entstammte einer dort ansässigen deutschen Bürgerfamilie. Die Stadt gehörte seit alters den Grafen Leszczynski. Diese hatten um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Bekenntnis und die Ordnung der Böhmischen Brüder angenommen, die damals, aus Böhmen vertrieben, im Herzogtum Preufsen Zuflucht suchten und unterwegs in Polen mit grofsem Erfolg missionierten. Um 1555 hat Raphael IV. Leszczynski die Pfarrkirche von Lissa dem brüderischen Gottesdienst übergeben und einen der

1) Ueber den Lebensgang von Salomon Opitz und seine dichterischen Leistungen gedenke ich demnächst eine eingehende Studie in einer der die Posener Heimatgeschichte pflegenden Zeitschriften zu veröffentlichen, sodafs ich hier von näheren Nachweisen absehe.

XXVII.

IO.

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Unität, d. h. der Brüderkirche, angehörigen Pfarrer eingesetzt. Seitdem im dreifsigjährigen Krieg auch vertriebene schlesische Lutheraner in Lissa Aufnahme gefunden hatten, war die Unitätsgemeinde nicht mehr die einzige der Stadt, dafür aber ragte sie um so mehr hervor an geistiger Bedeutung. Infolge der Zerstörung der Unität in ihrem böhmischen Mutterlande kam eine ansehnliche Schar tschechischer Exulanten nach Lissa, darunter die leitenden Senioren, mit ihnen das Archiv, die Bibliothek und die Buchdruckerei der böhmischen Unität, dann vor allem der Mann, der als Reformator des Erziehungswesens, als Herold der Gewissensfreiheit und Vorkämpfer kirchlicher Einheitsbestrebungen eine weitreichende Wirksamkeit entfaltet und dem Namen Lissa Glanz verliehen hat, Amos Comenius. Da andere Vororte der polnischen Brüderkirche ihr in jener Zeit entrissen wurden, ward die Lissaer Gemeinde zum Mittelpunkt der gesamten, freilich mehr und mehr zusammenschmelzenden Unität in Grofspolen und dem polnischen Preussen. In dieser Gemeinde ist Salomon Opitz aufgewachsen, in ihren Traditionen wurde er herangebildet, ihr zu dienen wurde seine Lebensaufgabe, ihre leidvollen Geschicke hat er von früh an mitgetragen. Kaum 6 Jahre alt, hat er schon die Entbehrungen und Drangsale des Exils zu schmecken bekommen. Bei der Zerstörung Lissas i. J. 1656 floh sein Vater, ein ehrsamer Bäckermeister, nach Ohlau. Dort raffte hernach die im Gefolge des Krieges einherziehende Pest die gesamte Familie hinweg bis auf den einen Knaben. Verwaist kam dieser in die Heimatstadt zurück und besuchte dort, später in Thorn und Danzig das Gymnasium, um dann nach Holland, Leiden und Franeker zu gehen. Die jungen Theologen der Unität studierten meist auf den niederländischen Hochschulen, an denen seit alters für sie Stipendien bestanden. Heimgekehrt wurde er Prediger der Unität, zunächst 1677 in Lafswitz bei Lissa, 1695 als Kaplan oder zweiter Geistlicher in Lissa. 1699 empfing er die Weihe zum Konsenior der Unität, 1703 wurde er erster Geistlicher in Lissa, 1712 Senior der Unität. Es waren schwere Zeiten für die Lissaer Gemeinde und die gesamte Unität. Die Schrecken des nordischen Krieges brachen über Lissa mit voller Gewalt herein. Nach vielfachen Bedrohungen und Bedrückungen wurde der alte Stammsitz der Brüder am 29. Juli 1707 wiederum völlig niedergebrannt. Zum zweiten Mal sah Opitz die geliebte Heimatstadt in Trümmern, sich selbst als heimatlosen Flüchtling. Seine kleine Bibliothek" hatte er, wie er in einem Brief an den Senior Jablonski erwähnt, noch rechtzeitig nach Beuthen in Niederschlesien in Sicherheit gebracht. Im dortigen Schlofsgewölbe wurde in jenen Kriegszeiten auch das Archiv der Unität unter dem Schutz des ihr engverbundenen Freiherrn von Schoenaich verwahrt. Opitz selbst flüchtete nach Crossen, kehrte jedoch schon im November endgültig nach Lissa zurück. In der eben wieder aus der Asche erstandenen Stadt richtete die Pest i. J. 1709 furchtbare Verheerungen an. In allen diesen Schrecknissen hat sich Opitz als ein treuer standhafter Hirt bewährt und mit viel Eifer und Sorgfalt die Wiederher

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