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noch andere Werke. Als diese Ader erschöpft war, grub er daneben und beutete eine andere aus, den Complete English Tradesman, a Tour through Great-Britain. Es naht der Tod, und die Armuth bleibt. Umsonst hat er in Prosa geschrieben, in

Versen, über alle Gegenstände, über politische und religiöse, unwesentliche unesenof

und principielle Dinge, Satiren und Romane, Geschichten und Gedichte, Reisen und Pamphlete, commercielle Abhandlungen und statistische Nachweise, im Ganzen zweihundertundzehn Werke, (die durchaus nicht in weitschweifigen Wiederholungen bestehen, sondern eine solche erstaun= liche Menge gedrängter und aufgehäufter Beweise, Documente und Thatsachen enthalten, daß das Gedächtniß) das Denken und die Arbeitskraft eines Mannes für eine solche Arbeit zu klein erscheinen; er starb, ohne einen Heller zu besigen und hinterließ noch Schulden. Von welcher Seite man auch sein Leben betrachten mag, man erblickt nur beständige Anstrengungen und erlittene Verfolgungen. Freude und Genuß scheint demselben zu fehlen. Die Idee des Schönen hat Hier keinen Zutritt. Wenn er sich der Dichtung zuwendet, thut er es als Presbyterianer und als Plebejer in niedrigen Stoffen und mit moralischen Absichten, um die Abenteuer von Dieben und Dirnen, von Arbeitern und Matrosen zu zeigen und ihre Sitten zu bessern. Seine ganze Freude bestand in dem Gedanken, daß er einen Dienst zu leisten hatte und daß er ihn leistete. Er sagt:

Wer die Wahrheit auf seiner Seite hat, ist ebenso ein Narr wie ein Feigling, wenn er sie wegen der großen Anzahl von Meinungen anderer Leute nicht zu bekennen wagt. Es ist sicherlich hart für einen Menschen zu sagen: Alle Welt täuscht sich außer mir; aber wenn es nun so ist, wer kann es hindern? *)

De Foe gleicht einem jener braven, schlichten und nüglichen Soldaten, welche mit leerem Magen, den Tornister auf dem Rücken, die Füße im Kothe, ihren Dienst thun, die Schläge einstecken, den ganzen Tag dem Feuer des Feindes und manchmal obendrein dem

*) He that opposes his own judgment against the current of the times ought to be backed with unanswerable truth, and he that has truth on his side, is a fool as well as a coward, if he is afraid to own it, because of the multitude of other men's opinions. 'Tis hard for a man to say, all the world is mistaken, but himself. But if it be so, who can help it?

Laine, Gesch. der engl. Literatur. II.

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しま

ihrer eigenen Kameraden ausgesetzt sind und die als Sergeanten sterben,
glücklich wenn sie gelegentlich das Kreuz der Ehrenlegion erhascht
haben.

Er besaß die solide und exacte Geistesart, die der Feinheit, des Enthusiasmus, der Anmuth völlig entbehrt und für einen so harten × Dienst sich eignet. Seine Phantasie war die eines Geschäftsmannes, × nicht die eines Künstlers, ganz angefüllt, und gleichsam vollgestopft mit × Thatsachen. Er theilt sie mit wie sie ihm in den Sinn kommen, ohne Ordnung und Stil, nach Art der Unterhaltung, ohne nur an die Erzielung eines Effects oder an die Verbindung der Säße zu denken;*) × er gebraucht Fachausdrücke und vulgäre Formen, kommt nöthigenfalls noch einmal auf dieselbe Sache zurück, wiederholt sie zwei- und dreix mal, scheint keine Ahnung zu haben, daß es Mittel zu amüsiren, zu rühren, zu begeistern oder zu gefallen gibt und hat keinen anderen Wunsch, × als sich der Ueberfülle seiner Nachweise, die er sich verschafft hat, auf dem Papiere zu entledigen. Selbst auf dem Gebiete der Dichtung sind seine Nachweise und Angaben ebenso genau als auf dem Gebiete der Geschichte. Er gibt Datum, Jahr, Monat, Tag an; er notirt den Wind, Nordost, Südwest, Nordwest; er schreibt ein Reisejournal auf, Waarenverzeichnisse, Rechnungen von Advocaten und Kaufleuten, die Anzahl der moïdores**), die Interessen, die Zahlungen in Geld oder in Natura, Einkaufs- und Verkaufspreise, den Antheil des × Königs, der Klöster, der Theilhaber und der Agenten, den Reingewinn, die Statistik, die Geographie und Hydrographie der Insel, daß der Leser versucht ist, einen Atlas herzunehmen und selbst eine kleine × Karte des Ortes zu zeichnen, um auf alle Einzelheiten. der Geschichte einzugehen und die Gegenstände ebenso klar und vollständig zu sehen wie der Verfasser. Es scheint, als ob dieser alle Arbeiten seines Ro< binsons verrichtet habe, so genau beschreibt er dieselben, mit Angabe der Zahlen, der Quantitäten, der Dimensionen, wie ein Zimmermann, ein Töpfer oder ein alter Matrose. Weder vorher noch nachher hat man einen solchen Sinn für das Reale gesehen. Unsere Realisten

*) Man vergleiche seine so faden Gedichte, unter anderen „Jure Divino, a
poem in twelve books, in defence of every man's birthright by nature."
**) eine portugiesische Münze.

heutzutage, Maler, Anatomisten, specielle Fachleute sind von dieser Natürlichkeit sehr weit entfernt; Kunst und Berechnung blicken stets bei ihren zu peinlich genauen Beschreibungen durch. De Foe dagegen bereitet Illusion; denn nicht das Auge, den Geist täuscht er, und zwar buchstäblich; seine Beschreibung der großen Pest hat mehr als einmal für wahr gegolten, und Lord Chatam hielt seine Memoirs of a Cavalier für eine authentische Geschichte. Das war das Ziel, wonach er strebte. Der Herausgeber," so heißt es in den alten Ausgaben des Robinson — „glaubt, daß dieses Buch eine wahre Geschichte von Thatsachen ist; nirgends ist darin nur ein Schimmer von Dichtung zu finden".*) Darin besteht sein ganzes Talent, und auf diese Weise unterstüßen ihn sogar seine Unvollkommenheiten; sein × Mangel an Kunst wird zur vollendeten Kunst; seine Nachlässigkeiten, X seine Wiederholungen, seine Weitschweifigkeiten tragen zur Illusion bei;× man kann nicht annehmen, daß so manches geringfügige und fade× Detail erdichtet sei; ein Dichter würde es weggelassen haben; es ist zu langweilig, um absichtlich hinzugefügt zu sein;› die Kunst wählt, verschönert, interessirt; es ist also nicht die Kunst, welche diesen Haufen, trivialer und vulgärer Nebenumstände aufgespeichert hat: es ist die Wahrheit.

Man lese zum Beispiel den wahren Bericht von der Erscheinung einer Mrs. Veal am Tage nach ihrem Tode, A True Relation of the Apparition of one Mrs. Veal, the next Day after her Death, to one Mrs. Bargrave, at Canterbury, the 8th of September 1705; which Apparition recommends the perusal of Drelincourt's Book of Consolation against the Fear of Death**). Die kleinen Dreipfennigbücher, in denen die alten Strickerweiber lesen, sind nicht monotoner. Wir finden da einen solchen Aufwand von ausführlichen und be

*) The story is told. . . . to the instruction of others by this example, and to justify and honour the wisdom of Providence. The Editor believes the thing to be a just history of facts; neither is there any appearance of fiction in it.

**) Man vergleiche Case of M. Waldemar, von Edgar Poe. Der Amerikaner ist ein kranker Künstler, De Foe ein verständiger Bürger.

glaubigten Einzelheiten, eine solche Reihe citirter, nachgewiesener, con= trollirter, confrontirter Zeugen, einen so vollkommenen Anschein solidbürgerlicher Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, einen so derben, vulgären, gesunden Menschenverstand, daß man den Verfasser für einen braven Strumpfwirker halten könnte, der sich zur Ruhe gesetzt hat und zu beschränkt ist, eine Erzählung zu erfinden; kein Schriftsteller, der um seinen Ruf besorgt ist, hätte diese Abgeschmacktheit verfaßt. De Foe war in der That nicht um seinen Ruf besorgt; er hatte ganz andere Ziele vor Augen; wir Schriftsteller haben davon keine Ahnung; wir sind eben nur Schriftsteller. Mit einem Worte, er wollte einem frommen Buche von Drelingcourt, das sich nicht verkaufte, Absatz verschaffen und außerdem die Leute durch Vertheidigung der Geistererscheinungen in ihrem Glauben bestärken. Das war der große Be= weis, den man damals den Ungläubigen darbot; der ernste Johnson selbst bemühte sich, einen Geist zu sehen, und es gab in der damaligen Zeit kein Ereigniß, das dem Glauben der mittleren Klassen ange= messener war. Hier, wie anderswo, ist De Foe ebenso wie Swift ein Mann der That; die Wirkung und nicht das Aufsehen bewegt ihn, er verfaßte Robinson, um die Frommen zu ermahnen, wie Swift das Leben des letzten Gehängten schrieb, um den Dichen Schrecken einzuflößen.“ „Diese Geschichte" sagt die Vorrede, „ist erzählt, um die Anderen durch ein Beispiel zu belehren und auch um die Weisheit der Vorsehung zu rechtfertigen und zu ehren". In dieser positiven und religiösen Zeit, unter diesen politischen, und puritanischen Bürgern ist die Praxis von solcher Wichtigkeit, daß sie die Kunst zu ihrem Werkzeuge herabwürdigt.

Niemals war die Kunst das Werkzeug für ein mehr moralisches und mehr englisches Werk. Robinson ist ein vollständiger Repräsen= tant seiner Rasse und kann ihr noch heute zur Belehrung dienen. Er besitzt jene Willenskraft, jenen inneren Enthusiasmus, jenes dumpfe Gähren einer ungestümen Phantasie, die ehemals die Seekönige hervorbrachten und die jezt die Auswanderer und die Squatters herrorbringen. Das Unglück seiner beiden Brüder, die Thränen seiner Verwandten, die Rathschläge seiner Freunde, die Einwendungen seiner Vernunft, die Vorwürfe seines Gewissens, Nichts vermag ihn zurück

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zuhalten: „es liegt ein verhängnißvoller Trieb in seiner Natur;" er
hat den Gedanken gefaßt - er muß zur See. Umsonst ergreift ihn
beim ersten Sturme die Reue: er ertränkt mit Punsch diese Gewissens-
bisse; umsonst warnen ihn ein Schiffbruch und die Nähe des Todes
er wird verstockt und halsstarrig. Umsonst mahnen ihn die Ge-
fangenschaft bei den Mauren und der Besitz einer einträglichen Pflan-
zung zur Ruhe: der unbezähmbare Trieb erwacht aufs Neue; „er ist
geboren, um sein eigener Zerstörer zu sein", und er schifft sich wieder
ein. Das Schiff geht unter, er wird allein an eine einsame Insel
geworfen; und da fand, nun seine angeborene Energie ihren Aus-
weg und ihre Verwendung; er muß, wie seine Nachkommen, die
Pioniere Australiens und Amerikas, die Erfindungen und Errungen-
schaften der menschlichen Industrie eine nach der anderen von Neuem
machen und sich erobern; und er macht und erobert sie von Neuem,
eine nach der anderen. Nichts hemmt seine Anstrengungen, weder
der Besit noch die Ermüdung:

„Ich hatte jetzt von Gegenständen aller Art das vollständigste Magazin, das
ein einzelner Mensch wohl jemals aufgespeichert hatte; aber ich war noch nicht
befriedigt, denn so lange das Schiff noch aufrecht in jener Lage zu sehen war,
schien es mir, als ob ich Alles, was ich könnte, daraus holen müßte, und ich
glaube in der That, wäre das Wetter fortwährend ruhig gewesen, ich hätte das
ganze Schiff Stück für Stück herbeigebracht.”*)

In seinen Augen ist die Arbeit etwas Natürliches. Wenn er, um sich zu verschanzen, im Walde Pfähle schlägt, die er dann einrammt und von denen ihm fast jeder einen Tag Mühe und Arbeit kostet, bemerkt er:

,,Diese Arbeit war sehr mühevoll und läftig. Aber brauchte ich denn zu überlegen, ob eine Arbeit, die ich zu thun hatte, ermüdend wäre oder nicht, da ich ja hinreichend Zeit zu ihrer Verrichtung und keine andere Beschäftigung

*) I had the biggest magazine of all kinds now that ever was laid up, I believe, for one man. But I was not satisfied still; for while the ship sat upright in this posture, I thought I ought to get every thing out of her that I could . . . . I got most of the pieces of the cable ashore, and some of the iron, though with infinite labour; for I was fain to dip for it into the water, a work which fatigued me very much. ... I verily believe, had the calm weather held, I should have brought away the whole ship, piece by piece.

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