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Todes zum Brechen reizen könnte. In ihm ist eine Fülle grandioser Phantasie verborgen, die ihn gegen die kleinen Feinheiten der weltlichen Bildung gleichgültig macht. Er weilt gern bei der Erhabenheit und wunderbaren Herrlichkeit des Jenseits. Er ist von der Gegenwart des Unsichtbaren durchdrungen; es ist ihm ein Bedürfniß, dem Egoismus und den Hoffnungen des armseligen Lebens, in dem wir uns dahinschleppen, zu entfliehen. *) Diese Quelle des Glaubens sprudelt in ihm von allen Seiten; vergeblich ist sie in dem regelmäßigen Kanale des officiellen Dogmas eingeschlossen; die Texte und Ar= gumente, mit denen sie bedeckt ist, verbergen nicht ihren wahren Ur= sprung. Sie entspringt der ernsten und fruchtbaren Phantasie, die nur in dem Anblick des Jenseits ihre Befriedigung finden kann.

Eine solche Fähigkeit nimmt den ganzen Menschen in Anspruch, und wenn man zu der Prüfung der literarischen Vorzüge wieder herabsteigt, so bemerkt man sie hier unten ebenso wie da oben. E3 gibt bei Addison nichts Mannichfaltigeres und Prächtigeres als die Einkleidung und die Inscenirung. Die trockenste Moral verwandelt sich unter seinen Händen in Schilderungen und Erzählungen. Es sind Briefe von allen möglichen Leuten, von Geistlichen, von Leuten aus dem Volke und der vornehmen Gesellschaft, die alle ihren eigenen Stil beibehalten und ihren Rath in die äußere Form eines kleinen Romans einkleiden. Da finden wir einen Gesandten von Bantam, der, wie Montesquieu, die Lügen der europäischen Höflichkeit verspottet, griechische und orientalische Erzählungen, erdichtete Reisen, die Vision eines schottischen Sehers, die Memoiren eines Rebellen, die Geschichte der Ameisen, die Metamorphosen eines Affen, das Tagebuch eines Müssiggängers, einen Spaziergang in Westminster, die Genealogie von „humour," die lächerlichen Clubregeln kurz eine unerschöpfliche Menge anmuthiger oder kerniger Fictionen. Am häufigsten tref= fen wir Allegorien. Man fühlt, daß er sich in dieser prächtigen und phantastischen Welt gefällt. Er schafft sich selbst eine Art Oper; seine Augen wollen Farben schauen. Es gibt eine solche Allegorie über die Religionen, die zwar protestantisch, aber ebenso glänzend als geistreich

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*) Vergleiche die letzten dreißig Nummern des ,,Spectator."

ist: Das Anmuthige beruht hier nicht, wie in Frankreich, in der Lebendigkeit und Abwechselung des Tones, sondern in dem Glanz und der Wahrheit der Erfindung:

,,Die Gestalt in der Mitte, die zunächst die Augen aller Welt auf sich zog, und die viel größer als die anderen war, glich einer Matrone und war wie eine ältere Dame von Stande aus der Zeit der Königin Elisabeth_gekleidet *). Vor Allem bemerkte man in ihrer Kleidung den Hut mit der kirchthurmartigen Krone, die Schärpe, die dunkler war als Zobel, die Schürze von Schleiertuch, die weißer war als Hermelin. Ihr Kleid war von dem kostbarsten schwarzen Sammt und gerade über dem Herzen mit großen Diamanten von unschäßbarem Werthe in Form eines Kreuzes besetzt. Es lag eine unaussprechliche Heiterkeit in ihrem Antlitz, und obgleich sie bejahrt erschien, strahlte dasselbe so viel Seele und Leben aus, daß es zu gleicher Zeit den Anschein des Alters und der Unsterblichkeit verlieh. Ich fühlte bei ihrem Anblick mein Herz von solcher Liebe und Verehrung ergriffen, daß die Thränen über meine Wangen rannen; und je länger ich sie betrachtete, desto mehr zerfloß mein Herz in den Gefühlen kindlicher Liebe und kindlichen Gehorsams. Ihr zur Rechten saß eine so mit Schmuck überladene Frauengestalt, daß ihr Gesicht, ihr Körper und ihre Hände faft gänzlich darunter verborgen waren. Das Wenige, was man von ihrem Gesichte sehen konnte, war geschminkt und zeigte was mir besonders merkwürdig vorkam, etwas wie künstliche Runzeln . Ihr Kopfput erhob sich sehr hoch in drei verschiedenen Stockwerken oder Stufen; ihr Gewand schillerte in tausend Farben und war mit goldenen, silbernen und seidenen Kreuzen bestickt; Alles, was sie anhatte, selbst ihre Handschuhe und Pantoffeln, trug daffelbe Zeichen; ja sie schien ein solch abergläubisches Gefallen daran zu haben, daß sie mit übereinander gekreuzten Beinen dasaß .... Nicht weit von ihr befand sich eine Mannesgestalt, die eine filbernes Wafferbecken mit dem Ausdruck des Abscheus betrachtete. Da ich in seinen Mienen etwas wie Wahnsinn bemerkte, so glaubte ich zunächst, er sollte jene Art der Geisteszerrüttung darstellen, die die Aerzte Wasserscheu nennen; aber als ich den Zweck des Schauspiels bedachte, erinnerte ich mich sofort und schloß, daß es der Anabaptismus sei.“**)

.....

*) Man vergleiche den Kopfputz zur Zeit der Elisabeth, um diese Specialausdrücke zu verstehen.

**) The middle figure which immediately attracted the eyes of the whole company and was much bigger than the rest, was formed like a matron, dressed in the habit of an elderly woman of quality in Queen Elizabeth's days. The most remarkable parts of her dress were the beaver with the steeple crown, the scarf that was darker than sable, and the lawn apron that was whiter than hermine. Her gown was of the richest black velvet, and, just upon her heart, studded with large diamonds of an inestimable value disposed in the form of a cross. She bore an inexpressible cheerfulness and dignity in her aspect; and though she seemed in years, appeared with so much spirit and vivacity, as gave her at the same time an air of

Es ist Sache des Lesers zu errathen, was diese beiden ersten Gestalten darstellen. Sie werden einem Anglikaner besser gefallen, als einem Katholiken; aber ich glaube, selbst ein Katholik wird nicht umhin können, die Fülle und Lebendigkeit der Fiction anzuerkennen.

Die wahre Phantasie führt naturgemäß zur Erfindung von Charakteren. Denn wenn man sich eine Situation oder Handlung lebhaft vorstellt, so wird man mit derselben Kraft das ganze Netzwerk ihrer Bänder sehen; die Leidenschaften und Fähigkeiten, alle Ge= berden und Töne der Stimme, alle Einzelheiten der Kleidung, Wohnung und Gesellschaft, die sich daraus ergeben, werden sich in unserem Geiste verbinden, ihre Voraussetzungen und Consequenzen herbeiziehen; und diese sich langsam ordnende Ideenmenge wird sich schließlich auf ein einziges Gefühl concentriren, dem, wie einer tiefen Quelle, das Bild und die Geschichte einer vollständigen Persönlichkeit entquillt. Es gibt deren mehrere bei Addison: den schweigsamen Beobachter, William Honeycomb, den toristischen Landjunker, Sir Roger de Coverley, die nicht blos satyrische Thesen sind, wie die von La Bruyère, son

old age and immortality. I found my heard touched with so much love and reverence at the sight of her, that the tears ran down my face as I looked upon her; and still the more I looked upon her, the more my heart was melted with the sentiments of filial tenderness and duty. I discovered every moment something so charming in her figure that I could scarce take my eyes off it. On its right hand there sat the figure of a woman so covered with ornaments, that her face, her body, and her hands were almost entirely hid under them. The little you could see of her face was painted; and what I thought very odd, had something in it like artificial wrinkles. But I was the less surprised at it, when I saw upon her forehead an old fashioned tower of gray hairs. Her hair dress rose very high by three several stories or degrees. Her garments had a thousand colours in them and were embroidered with crosses in gold, silver, and silk; she had nothing on, so much as a glove or a slipper, which was not marked with this figure. Nay, so superstitiously fond did she appear of it, that she sat cross-legged . . . The next to her was a figure which somewhat puzzled me. It was that of a man looking with horror in his eyes upon a silver bason filled with water. Observing something in his countenance that looked like lunacy, I fancied at first that he was to express that kind of distraction which the physicians call the hydrophobia. But considering what the intention of the show was, I immediately recollected myself and concluded it to be Anabaptism. (Talter, no 257.)

dern wirkliche Individuen, welche den Charakteren der großen, zeitgenössischen Romane ähneln und manchmal sogar gleichen. Und in der That erfindet er, ohne es zu ahnen, den Roman zu derselben Zeit und auf dieselbe Weise, wie seine nächsten berühmtesten Zeitgenossen. Seine, Charaktere sind aus dem Leben gegriffen, aus den Sitten und Verhältnissen der Zeit; sie sind breit und mit peinlicher Umständlichkeit nach allen Seiten ihrer Erziehung und Umgebung mit der Genauigkeit der positiven Beobachtung außerordentlich wahr und echt englisch geschildert. Ein Meisterwerk und zugleich ein geschichtliches Document ist Sir Roger de Coverley, der Landjunker, der treue Diener der Verfassung und der Kirche, der justice of the peace, der Patron des Geistlichen, ein Mann, dessen Besißthum die Structur des englischen Landes im Abriß zeigt. Dieses Besißthum ist ein Staat im Kleinen, der zwar väterlich regiert, aber doch immer regiert wird. Sir Roger schilt seine Pächter, mustert sie in der Kirche, kennt ihre Angelegenheiten, gibt ihnen Rath, Beistand, Be= fehle; sie erweisen ihm Achtung, Gehorsam, Liebe, weil er unter ihnen lebt, weil er durch die Einfachheit seiner Neigungen und seiner Erziehung fast auf gleichem Niveau mit ihnen steht, weil er in seiner Stellung als obrigkeitliche Person, als alter Grundbesizer, reicher Mann, Wöhlthäter und Nachbar, einen sittlichen, legalen, nüglichen und geheiligten Einfluß ausübt. Addison zeigt in ihm zugleich den kernigen und eigenartigen englischen Charakter, der aus hartem Eichenholze mit all der knorrigen Rauheit der ursprünglichen Rinde geformt ist und sich nicht zu glätten und zu poliren versteht; die große Herzensgüte, die sich bis auf die Thiere erstreckt, die Liebe zum Landleben und zu Leibesübungen, die Neigung zu befehlen und in Zucht zu halten, das Gefühl des Gehorsams und der Ehrfurcht, viel ge= sunden Menschenverstand und wenig Feinheit, die Gewohnheit, seine Besonderheiten und Wunderlichkeiten zu zeigen und öffentlich einzuführen, ohne Furcht vor Lächerlichkeit, ohne einen Gedanken an Prahlerei, einzig und allein, weil man keinen anderen Richter anerkennt, als sich selbst. Hundert Züge schildern dann die Zeit: Mangel an Belesenheit, Spuren des Glaubens an Zauberei, Bauer- und Waidmannsmanieren, die Unwissenheit eines naiven und zurückgeblie=

benen Geistes. Sir Roger schenkt den Kindern, die in der Katechismuslehre gut antworten, eine Bibel für sich und ein Specktviertel für ihre Mutter. Wenn ihm ein Vers gefällt, singt er ihn noch eine halbe Minute lang nach Beendigung der gottesdienstlichen Versamm= lung. Zu Weihnachten schlachtet er acht fette Schweine und sendet. jeder armen Familie des Kirchspiels Wurst und ein Packet Karten. Wenn er in's Theater geht, bewaffnet er seine Leute mit Knütteln, um sich vor den Banditen zu schüßen, die nach seiner Meinung London verpesten müssen. Addison kommt zwanzigmal auf seinen alten Ritter zurück, indem er stets eine neue Seite seines Charakters ent= deckt; er ist ein unbefangener Beobachter der menschlichen Natur, wißbegierig eifrig und scharfblickend, wahrhaft schöpferisch, der nur noch einen Schritt zu thun hat, um, wie Richardson und Fielding, das große Werk der modernen Literatur, den Sittenroman zu er= reichen.

Darüber breitet sich die Poesie. Sie durchströmt seine Proja tausendmal lauterer und schöner als seine Verse. Prächtige orientalische Phantasiegemälde entfalten sich, nicht mit sprühenden Funken, wie bei Voltaire, sondern unter einem hellen und vollen Lichte, das die regelmäßigen Falten ihres Purpurs und ihres Goldes wallend bewegt. Die Musik langer, rhythmischer und ruhiger Säße führt den Geist unter romantischer Pracht und Entzückung sanft dahin, und das tiefe Gefühl der immer jungen Natur erinnert an die glückliche Seelenruhe Spenser's. *) Durch seinen zarten Spott oder seinen sittlichen Zweck hindurch fühlt man, daß seine Phantasie glücklich ist, daß sie gern das Schwanken der Wälder betrachtet, die die Berge umkleiden, das ewige, durch frische Quellen belebte Grün der Thäler, den weiten Horizont, der an der Grenze des fernen Himmels wogt. Erhabene und einfache Gefühle verbinden sich von selbst mit diesen edlen Bildern, und ihre maßvolle Harmonie schafft ein unvergleichliches Schauspiel, das würdig ist, eines redlichen Mannes Herz durch seinen Ernst und seine Lieblichkeit zu ergößen. Solcher Art ist die „Vision des Mirza,"*) die ich fast vollständig übersehen will:

*) Story of Abdallah and of Hilpa.

**) Spectator no 159.

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