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und bestand fort. Dies war nur möglich, weil er den Engländern ein Bild des englischen Verstandes darbot. Talent und Lehre harmo= nirten mit den Bedürfnissen der Zeit und des Landes.

Versuchen wir, diesen Verstand zu beschreiben, der sich nach und nach vom Puritanismus und seiner Strenge, von der Restauration und ihren Ausschreitungen frei machte. Zugleich mit der Religion und dem Staate erlangt der Geist sein Gleichgewicht. Er erfaßt die Regel und ordnet sein Verhalten; er entsagt dem ausschweifenden und beginnt ein vernünftiges Leben zu führen; er flieht das finnliche und schreibt ein moralisches Leben vor. Addison verwirft mit Abscheu die niedrige, sinnliche Freude, die rohe Lust an Lärm und Aufregung. Er sagt, als er von den Possen und Grimassen spricht:

„Ist es möglich, daß die menschliche Natur an ihrer Schande Freude haben und ein Vergnügen finden kann an dem Anblicke lächerlich verzerrter Formen, die Abscheu und Widerwillen erregen? Es liegt etwas Argliftiges, Unmoralisches in der Fähigkeit, einen solchen Anblick zu ertragen."*)

Mit noch größerem Rechte wendet er sich gegen die unnatürliche Zügellosigkeit und die systematische Ausschweifung, die den Geschmack und die Schmach der Restauration bildete. Er schreibt ganze Artikel gegen die jungen, vornehmen Elegants, „eine Art Ungeziefer," das London mit seinen Bastarden anfüllt; gegen die professionellen Verführer, die „fahrenden Ritter des Lasters."

,,Wenn Leute von Rang und Ansehen ihr Leben in solchen sträflichen Gewohnheiten und Beschäftigungen hinbringen, so sollten sie bedenken, daß fie sich tiefer erniedrigen und verächtlicher machen, als irgend ein harmloser Mensch, mag er durch Stand und Geburt auch noch so weit unter ihnen stehen,“**)

*) I would leave it to the consideration of those who are the patrons of this monstrous trial of skill, whether or no they are not guilty, in some measure, of an affront to their species, in treating after this manner the Human Face Divine. (Spectator, no 173.)

Is it possible that human nature can rejoice in its disgrace, and take pleasure in seeing its own figure turned to ridicule, and distorted into forms that raise horror and aversion? There is something disingenuous and immoral in the being able to bear such a sight. (Tatler, no 108.)

**) When men of rank and figure pass away their lives in these criminal pursuits and practices, they ought to consider that they render themselves more vile and despicable than any innocent man can be, whatever low station his fortune or birth have placed him in. (Guardian, no 123.)

Unnachsichtlich streng verspottet er die Frauen, die sich den Versuchungen aussetzen und die er „Salamander" nennt:)

,,Ein Salamander ist eine Art Heldin der Keuschheit, die auf das Feuer tritt und mitten in Flammen lebt, ohne sich zu verlezen. Sie empfängt einen männlichen Besucher an ihrem Bette, spielt mit ihm einen ganzen Nachmittag Piquet, geht mit ihm zwei oder drei Stunden bei Mondenschein spazieren, wird mit einem Fremden gleich beim ersten Anblick vertraulich und ist nicht so engherzig, darauf zu achten, ob die Person, mit der sie spricht, Hosen oder einen Unterrock trägt.“*)

Er eifert wie ein Prediger gegen die Mode der ausgeschnittenen Kleider und fordert ernsthaft den Busenstreifen und die Sittsamkeit der alten Zeiten zurück.

„Sittsamkeit verleiht der Jungfrau größere Schönheit als die Blüche der Jugend, verbreitet über die Gattin die Würde einer Matrone und gibt der Wittwe ihre Jungfräulichkeit zurück.“**)

Weiterhin findet man Strafpredigten über die Maskeraden, die mit einem Rendezvous endigen; Vorschriften über die Zahl der Gläser, die man trinken und der Gerichte, die man essen darf; Verdammungen gegen die Verbreiter irreligiöser und anstößiger Grundsäte; alles Maximen, die heutzutage etwas trivial erscheinen, damals aber neu und nüglich waren, weil Wycherly und Rochester die entgegengesezten Marimen in Ausübung und Aufnahme gebracht hatten. Ausschweifung galt für französisch und vornehm; das ist der Grund, warum Addison noch außerdem alle französischen Frivolitäten ächtet.

**) A salamander is a kind of heroine in chastity, that treads upon fire, and lives in the midst of flames, without being hurt. A salamander knows no distinction of sex in those she converses with, grows familiar with a stranger at first sight, and is not so narrowspirited as to observe whether the person she talks to be in breeches or in petticoats. She admits a male visitant to her bed-side, plays with him a whole afternoon at picquette, walks with him two or three hours by moon-light. (Spectator, no 198.)

**) To prevent these saucy familiar glances, I would entreat my gentle readers to sew on their tuckers again, to retrieve the modesty of their characters, and not to imitate the nakedness but the innocence of their mother Eve.

In short, modesty gives the maid greater beauty than even the bloom of youth; it bestows on the wife the dignity of the matron and reinstates the widow in her virginity. (Guardian, no 100, et Spectator, nos 204 et 224.)

Er spottet über die Frauen, welche Besucher in ihrem Boudoir empfangen und im Theater laut sprechen.

„Nichts setzt sie größeren Gefahren aus als diese Luftigkeit und Lebbaftigkeit des Temperaments, die den meisten ihres Geschlechts natürlich find. Es sollte deshalb die Sorge eines jeden verständigen und tugendhaften Weibes sein, zu verhindern, daß diese Fröhlichkeit in Leichtsinn ausarte. Dagegen machen die Unterhaltungen und die Manieren der Franzosen das weibliche Geschlecht nur fantastischer oder (wie sie es zu nennen belieben) aufgeweckter, als es sich mit Tugend und Sitte verträgt."")

In diesem Tadel erkennt man schon das Bild der englischen verständigen Hausfrau, der sittsamen Gattin, die häuslich und ernst nur ihrem Gatten und ihren Kindern lebt. Addison kommt wiederholt auf die Ränke, auf die hübschen, affectirten Kindereien, auf die Gefallsucht und Gehaltlosigkeit der Frauen zurück. Er kann die leichtsinnigen oder müssiggängerischen Gewohnheiten nicht ausstehen. Er ist reich an Epigrammen, die gegen die Liebeshändel, gegen die übertriebenen Toiletten und nuglosen Besuche gerichtet sind.**) Er verfaßt das satirische Tagebuch eines Mannes, der in seinen Klub geht,. die Neuigkeiten vernimmt, gähnt, den Barometer betrachtet und seine Zeit wohl angewendet glaubt. Er meint, unsere Zeit sei ein Capital, unsere Beschäftigung eine Pflicht und unser Leben ein Geschäft.

Aber auch nichts weiter. Wenn er auch über das sinnliche Leben erhaben ist, das philosophische Leben erreicht er nicht. Seine echt englische Moral erhebt sich nie über das Alltägliche und bewegt sich in Gemeinplägen, ohne Principien aufzufinden und bündige Schlußfolgerungen zu ziehen. Die erhabenen und feinen Seiten des Geistes fehlen ihm. Er gibt den Leuten brauchbare Rathschläge, eine recht flare Weisung, die durch die gestrigen Ereignisse gerechtfertigt, für den morgenden Tag von Nußen ist. Er bemerkt, daß die

*) There is nothing that exposes a woman to greater dangers than that gaiety and airiness of temper, which are natural to most of the sex. It should be therefore the concern of every wise and virtuous woman to keep this sprightliness from degenerating into levity. On the contrary the whole discourse and behaviour of the French is to make the sex more fantastical, or (as they are pleased to term it) more awakened than is consistent either with virtue or discretion. (Spectator, no 45.)

**) Spectator, no 317 et 323.

Väter nicht unerbittlich sein sollen und daß sie es oft bereuen, wenn sie ihre Kinder zur Verzweiflung getrieben haben. Er findet, daß schlechte Bücher höchst schädlich sind, weil sie durch ihr Fortbestehen ihr Gift den kommenden Geschlechtern mittheilen. Er tröstet ein Weib, das seinen Bräutigam verloren hat, indem er ihm das Unglück so vieler anderer Personen vor Augen stellt, die zu derselben Zeit viel größeres Leid erdulden. Sein Spectator ist nur ein Handbuch des achtbaren Mannes und gleicht oft dem Complete Lawyer; denn er ist durch und durch praktisch und hat nicht den Zweck, uns zu zerstreuen, sondern uns zu bessern. Der gewissenhafte, mit Dissertationen und Moral genährte Protestant verlangt einen zuverlässigen Rathgeber, einen Führer; er will, daß seine Lectüre gewinnbringend sei für sein Leben und und daß seine Zeitung ihm eine Entscheidung an die Hand gebe. Zu diesem Zwecke nimmt Addison seine Motive, wo er sie findet; er denkt an das zukünftige Leben, aber er vergißt nicht das gegenwärtige; er stützt die Tugend auf .wohlverstandenes Interesse. Er treibt kein Princip auf die Spize; er acceptirt sie alle, so wie man sie als Gemeingut Aller vorfindet, nach ihrem unverkennbaren Werthe, indem er nur die hauptsächlichsten Consequenzen zieht und den gewaltigen logischen Druck vermeidet, der Alles verdirbt, weil er zu viel ausdrückt. Man sehe ihn eine Maxime aufstellen, zum Beispiel uns die Beständigkeit anempfehlen; seine Motive gehen in bunter Menge wirr durcheinander: Zunächst gibt uns die Unbeständigkeit der Verachtung Preis; dann versetzt sie uns in eine fortwährende Aufregung; außerdem verhindert sie uns sehr oft, unseren Zweck zu erreichen; übrigens ist sie der Grundzug des vergänglichen Looses der Menschen; endlich ist nichts dem unwandelbaren Wesen Gottes widerstreitender, das doch unser Vorbild sein soll. Das Ganze ist zum Schluß durch eine Stelle aus Dryden und durch Verse aus Horaz erläutert. Dieses zusammenhangslose Gemisch characterisirt vortrefflich den gewöhnlichen Geist, der sich nicht über das Niveau seiner Zuhörer erhebt, und den praktischen Geist, der sie zu beherrschen versteht. Addison überzeugt das Publicum, weil er aus den öffentlichen Quellen des Glaubens schöpft. Er ist wirksam, weil er populär, und nüglich, weil er beschränkt ist.

Man stelle sich nun diesen im höchsten Sinne des Wortes mittelmäßigen Geist vor, wie er gerade mit der Auffindung guter Motive des Handelns beschäftigt ist. Welch' nachdenkender, sich immer gleichbleibender, würdiger Charakter! Wie ist er mit Entscheidungen und Marimen ausgerüstet! Alles, was Phantasie, Instinct, Begeisterung, Laune heißt, ist in ihm erloschen oder geregelt. Nichts kann ihn überraschen oder hinreißen, er ist immer gerüstet und gedeckt und zwar so sehr, daß er einem Automaten gleicht. Die Logik hat ihn erstarrt und überwuchert. Man betrachte zum Beispiel den Stil, in welchem er uns vor unfreiwilliger Heuchelei warnt: er kündet an, er erklärt, er unterscheidet gewöhnliche und außergewöhnliche Mittel, er ergeht sich in schleppenden Einleitungen und Vorbereitungen, in methodischen Auseinandersetzungen und in Berufungen auf die heilige Schrift. *) Nach sechs Zeilen solcher Moral würde ein Franzose auf die Straße gehen und frische Luft schöpfen. Gerechter Himmel! Was würde er thun, wenn man, um sein Mitleid zu erregen, ihm ankündigte, **) daß die Allwissenheit und Allgegenwart Gottes uns drei Arten von Motiven an die Hand gäben, und wenn man ihm diese drei Arten als erste, zweite und dritte überzeugend entwickelte? Ueberall Berech= nung anwenden, mit Gewichten und Zahlen an die lebendigsten Lei= denschaften herangehen, sie wie Ballen etikettiren und ordnen, dem Publikum ankündigen, daß das Verzeichniß aufgestellt ist; dann mit den Rechnungen in der Hand und durch die bloße Kraft der Statistik es zu Ehre und Pflicht führen, das ist die Moral, wie wir sie bei Addison und in England antreffen. Es ist eine Art gesunder, auf die Interessen der Seele angewendeter, praktischer, kaufmännischer Verstand; ein Prediger ist hier nur ein Nationalöconom im Priesterkleide, der das Gewissen wie das Mehl behandelt und das Laster wie die Einfuhrverbote widerlegt.

Es liegt nichts Erhabenes oder Phantastisches in dem Ziele, auf das er uns hinweist; Alles ist da praktisch, das heißt bürgerlich einfach und verständig; es handelt sich darum, hienieden ruhig und zu

*) Spectator, no 397.

**) Ibid. 571.

Taine, Geschichte der engl. Literatur. II.

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