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einen Aufruhr befürchtete, zog sein Gesetz zurück *). Alle diese Rechtsgelehrten in feierlicher Perrücke und in Hermelin, diese Bischöfe mit ihrem Spizenbesaß, diese Lords in ihren gestickten und goldbesetzten Gewändern, diese feine, so geschickt im Gleichgewicht gehaltene Regierung wird von einem enormen, furchtbaren Thiere auf dem Rücken getragen, das für gewöhnlich folgsam, obschon murrend, einhergeht, das aber plöglich aus bloßer Laune die Last abwerfen und zertreten kann. Man sah es deutlich im Jahre 1780 bei dem Aufruhr des Lord Gordon. Ohne Grund, ohne Führung, bei dem Schrei: „Nieder mit den Papisten" zerstörte der aufgewiegelte Pöbel die Gefängnisse, befreite die Verbrecher, mißhandelte die Pairs und war 3 Tage Herr der Stadt, brennend, plündernd, schwelgend. Aus den eingeschlagenen Fässern floß der Gin in Strömen auf die Straßen. Kinder und Frauen tranken sich auf den Knieen zu Tode. Die einen wurden rasend, die andern sanken stumpfsinnig zu Boden und wurden unter den brennenden Trümmern der einstürzenden Häuser begraben und verbrannt. Elf Jahre später plünderten und zerstörten sie in Birmingham die Häuser der Liberalen und Dissidenten, und am andern Morgen fand man sie zu Haufen schwer betrunken auf den Wegen und an den Hecken liegen. Es ist gefährlich, in dieser starken, zu gut genährten Rasse die Naturtriebe zu entfesseln. Der Pöbel stürzt sich wie ein Stier mit aller Wucht auf den ersten rothen Lappen, den er zu sehen glaubt.

Die höheren Stände waren noch weniger achtungswerth, als die niederen. Wenn es keine heilsamere Revolution gab als die des Jahres 1688, so gab es auch keine, die durch schlechtere Triebfedern in Bewegung gesezt und unterhalten wurde. Verrath herrschte überall, nicht einfach, sondern doppelt und dreifach. Unter Wilhelm und Anna correspondiren und conspiriren Alle, Admiräle, Minister, Räthe, Günstlinge des Vorzimmers mit den Stuarts, die sie schon verkauft haben, nur um sie eventuell wieder zu verkaufen, mit einem Gewebe von Verträgen, die sich gegenseitig aufheben, von Meineiden, die sich einander überbieten, bis zulegt Niemand mehr weiß, wem er angehört,

*),,In the present inflamed temper of the people, the act could not be carried into execution without an armed force". (Rede Walpole's.)

oder was er ist. Der größte Feldherr der Zeit, der Herzog v. Marlborough, ist einer der niedrigsten Schufte, den die Geschichte kennt. Von seinen Maitressen unterhalten, ist er ein sparsamer Verwalter des Soldes, den er von ihnen bezieht, beraubt systematisch seine Soldaten, verkauft die Staatsgeheimnisse, handelt verrätherisch gegen Jacob, gegen Wilhelm, gegen England und ist fähig, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um ein Paar durchnäßte Schuhe zu schonen, und eine Expedition englischer Soldaten in einen französischen Hinterhalt fallen zu lassen. Nach ihm kommt Bolingbroke, ein Skeptiker und Cyniker, abwechselnd Minister der Königin und des Prätendenten, gegen beide in gleicher Weise unredlich, der mit Gewissen, Ehen und Versprechungen einen schmählichen Handel trieb und in Ausschweifungen und Intriguen sein Talent vergeudete, um in Unehre, Ohnmacht und Verachtung zu enden*). Zuletzt kommt Walpole, der, nachdem er zwanzig Jahre Premierminister gewesen war, wegen Unterschlagungen niederlegen mußte, und der sich rühmte, den Preistarif eines jeden Gewissens zu kennen. Montesquieu schrieb im Jahre 1729**):

„Es gibt schottische Mitglieder, welche nur zweihundert Pfund Sterling für ihre Stimme haben und sie um diesen Preis verkaufen. Die Engländer sind ihrer Freiheit nicht mehr würdig. Sie verkaufen sie dem Könige, und wenn der König sie ihnen zurückgäbe, sie würden sie ihm noch einmal verkaufen.“

Man muß in dem Journale Doddington's die sinnreiche Manier und den hübschen Anstrich dieses großen Handels lesen; der Doctor King berichtet:

„Walpole wollte im Hause der Gemeinen einen Antrag durchbringen, der, wie er wohl wußte, auf große Opposition stoßen würde. Als er den Court of Requests passirte, traf er ein Mitglied der Gegenpartei, dessen Geiz, wie er hoffte, einer reichen Bestechung nicht unzugänglich sein würde. Er zog ihn bei Seite und sagte: „Gebt mir Eure Stimme, hier ist eine Banknote von zweitausend Pfund Sterling", und er drückte sie ihm dabei in die Hand. Das Parlamentsmitglied gab ihm folgende Antwort: „Sir Robert, Ihr habt unlängst einem meiner intimsten Freunde einen Dienst erwiesen,

*) Man vergleiche die gewaltige Rede Walpole's gegen ihn, 1734. **) Bemerkungen auf einer Reise in England.

und als meine Frau neulich bei Hofe war, hat der König sie sehr gnädig empfangen, was gewiß nur auf Euren Einfluß zurückzuführen ist. Ich würde mich demnach für sehr undankbar halten (dabei steckt er die Banknote in seine Tasche), wenn ich Euch Eure Bitte abschlagen wollte."

Auf diese Weise besorgte ein Mann von Geschmack seine Ge= schäfte. Die Bestechung war so verbreitet in den öffentlichen Sitten und in der Politik, daß nach dem Sturze Walpole's Lord Bute, der ihn denunzirt hatte, sie auszuüben und auszudehnen gezwungen war. Sein College For verwandelte das Schazamt (pay-office) in einen Markt, feilschte mit Hunderten von Parlamentsmitgliedern um ihren Preis und zahlte an einem Morgen 25000 Pfund Sterling aus. Stimmen waren nur für baares Geld zu bekommen, und im entscheidenden Augenblick drohten diese feilen Menschen noch dazu, zum Feinde überzugehen, strikten und forderten mehr. Und ohne Zweifel sicherten sich die Führer ihren Antheil. Sie lassen sich bestechen oder machen sich bezahlt mit Titeln, Würden, Sinecuren; um eine vacante Stelle zu erhalten, gibt man dem Inhaber eine jährliche Pension von zwei, drei, fünf, ja sogar siebentausend Pfund Sterling. Pitt, der rechtschaffenste dieser Politiker, das Haupt der sogenannten Patrioten, gibt und widerruft sein Wort, beschuldigt oder vertheidigt Walpole, schlägt den Krieg oder den Frieden vor, nur um Minister zu werden oder zu bleiben. Fox, sein Nebenbuhler, war ein schamlos gemeiner Lump. Der Herzog von Newcastle, „dessen Name Treubruch war“, eine Art lebendiger Carricatur, plump, unwissend, verachtet und verspottet, wie kein anderer von den Adligen, blieb dreißig Jahre Minister und zehn Jahre Premierminister in Folge seiner Connexionen und seines Reichthumes, in Folge der Wahlen, über die er verfügt, und der Stellen, die er zu vergeben hat. Der Sturz der Stuarts legte die Regierung in die Hände von einigen vornehmen Familien, die mit Hülfe von verfallenen Burgflecken (rotten boroughs), erkauften Deputirten und hochtönenden Reden den König unterdrücken, die Leidenschaften des Pöbels lenken, intriguiren, lügen, sich einander bekämpfen und die Macht abzugaunern suchen.

Das Privatleben ist ebenso fein, wie das öffentliche. Gewöhnlich

verabscheut der regierende König seinen Sohn; dieser Sohn macht Schulden, verlangt vom Parlament eine Erhöhung seiner Pension und verbindet sich mit den Feinden seines Vaters. Georg I. hält dreißig Jahre lang seine Gemahlin im Gefängniß und betrinkt sich des Abends bei seinen zwei häßlichen Maitressen. Georg II., der seine Frau liebt, unterhält Maitressen, um galant zu erscheinen, freut sich über den Tod seines Sohnes und erschwindelt das Testament seines Vaters. Sein ältester Sohn*) betrügt beim Kartenspiel, und als er einst Doddington, von dem er 5000 Pfund Sterling geborgt hatte, in Kensington unter dem Fenster erblickt, ruft er aus: „Dieser Mann gilt als einer der besten Köpfe Englands, und dennoch bei all seinem Geist habe ich ihn eben um 5000 Pfund erleichtert."

...

Georg V. ist eine Art Kutscher, Spieler, anstößiger Lebemann, unehrenhafter Wetter, der durch sein Verhalten beinahe vom Jockey= Club ausgeschlossen worden wäre. Der einzige achtbare Mann ist Georg III., ein armer, beschränkter Tropf, der verrückt wurde und den seine Mutter in der Jugend wie in ein Kloster eingesperrt ge= halten hatte. Sie gab als ihr Motiv die allgemeine Verderbtheit des Adels an: „Die jungen Leute", sagte sie, „sind alle Wüstlinge, und die jungen Frauen machen den Männern den Hof, anstatt zu warten, bis er ihnen gemacht würde."**). In der That, das Laster war in der Mode, und zwar nicht so fein wie in Frankreich. „Geld", schrieb Montesquieu, „ist hier über Alles geachtet, Ehre und Tugend wenig. Der Engländer muß ein gutes Diner, ein Weib und Comfort haben. Da er wenig in Gesellschaft geht und sich auf diese Dinge beschränkt, so tödtet er sich oder wird ein Dieb, sobald sein Vermögen durchgebracht ist und er diese Dinge nicht mehr haben kann." Die jungen Leute besigen eine überschäumende Fülle von roher Kraft, die sie Roheiten und Vergnügungen verwechseln läßt. Die berühmtesten nannten sich selbst Mohawks und tyrannisirten London des Nachts. Sie hielten die Leute an und ließen sie tanzen, indem sie ihnen mit ihren Degen in die Beine stachen; manchmal steckten sie eine Frau

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*) Friedrich, gestorben im Jahre 1751. Memoirs of Horace Walpole. **) The young men were all rakes; the young women made love instead of waiting till it was made to them.

in eine Tonne und ließen sie einen Abhang hinunter rollen; andere stellten sie auf den Kopf, mit den Füßen in die Luft; manche pflegten die Nase des Unglücklichen, den sie ergriffen hatten, platt zu drücken und mit den Fingern ihm die Augen aus den Höhlen zu pressen. Swift, die Lustspieldichter, die Romanschreiber haben die Gemeinheit dieser rohen Ausschweifung geschildert, die des Lärmes bedarf, von Trunkenkeit lebt, mit Roheit sich brüstet, zur Grausamkeit führt und in Irreligiosität und Atheismus endet*). Dieses gewaltthätige, zu heftige Temperament sucht stolz und frech seine Bethätigung in der Zerstörung dessen, was die Menschheit respectirt und die Landesgeseße beschützen. Aus demjelben Triebe greifen sie die Geistlichkeit an und prügeln die Wache durch. Collins, Tindal, Bolingbroke sind ihre Lehrer. Die Verderbtheit der Sitten, die Gewöhnung an Verrätherei, der Kampf der Secten, die Freiheit der Discussion, der Fortschritt der Wissenschaften, das Gähren der Ideen scheinen das Christenthum aufzulösen. „Es gibt keine Religion in England", sagte Montesquieu; „vier oder fünf von den Mitgliedern des Unterhauses gehen zur Messe oder zur Predigt der Kammern . . . Wenn einer von Religion spricht, fängt Jedermann zu lachen an." Als einmal Jemand sagte: „Ich halte das für wahr wie einen Glaubensartikel, so brach Jedermann in Gelächter aus." In der That, die Aeußerung war sehr provinciell und klang sehr veraltet. Die Hauptsache war der feine, elegante Weltton, und es ist amüsant, bei Lord Chesterfield zu sehen, worin dieser feine Ton besteht. Von Gerechtigkeit, von Ehre spricht er nur flüchtig und der Form wegen. „Vor Allem“, sagt er zu seinem Sohne, habt feine Manieren". Er kommt in jedem Briefe darauf zurück, mit einer Dringlichkeit, Beredsamkeit und Beweiskraft, die einen seltsamen Contrast bilden:

...

„Mein lieber Freund, wie steht es mit den Manieren, der Anmuth, dem Anstand und mit all jenen unbedeutenden Kleinigkeiten, die so nothwendig sind, um einen Menschen liebenswürdig zu machen? Nehmt Ihr sie an? Macht Ihr darin Fortschritte? . . . Verfeinert Euch, reinigt in Gesellschaft nicht die Nägel, steckt Eure Finger nicht

*) Rolle des Birton in Voltaire's Jenny.

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