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des Hofes, erfährt unerwartet im Staatsrathe, daß seine Tochter Anna vom Herzog von Yerk schwanger ist und daß der Herzog, des Königs Bruder, ihr die Ehe versprochen hat. Folgendermaßen lauten die Worte dieses liebevollen, zärtlichen Vaters, er selbst hat dafür ge= sorgt, sie der Nachwelt zu überliefern:

,,Der Kanzler*) brach über die schändliche Leichtfertigkeit seiner Tochter in den heftigsten Zorn aus und sagte mit denkbarster Heftigkeit, sofort, wenn er nach Hause käme, würde er die Dirne auf die Straße werfen, sich gänzlich von ihr lossagen und sie niemals wiedersehen.“

Man beachte, daß dieser große Mann unvermuthet beim König die Nachricht erhielt und daß er gleich im ersten Augenblick einen so väterlichen, großherzigen Ton anzuschlagen verstand. Ec fügte hinzu, „er wolle seine Tochter lieber als Buhle des Herzogs, denn als seine Gattin wissen." Ist das nicht heroisch? Doch lassen wir ihn selbst reden; nur ein so gut monarchisches Herz kann sich selbst übertreffen:

,,Er war bereit, sofort ein entscheidendes Urtheil abzugeben, in der Hoffnung, daß Ihre Lordschaften sich ihm anschließen würden; der König möje sofort das Weib in den Tower bringen lassen, woselbst sie in einen tiefen Kerker geworfen und in so strengen Gewahrsam gehalten werden sollte, daß keine lebende Seele mit ihr verkehren könne; sofort sollte dann beim Parlament der Antrag gestellt werden, sie hinrichten zu lassen, und er selbst würde nicht nur seine Zuftimmung dazu geben, sondern gern der erste sein, der es beantrüge.“

Welch' echt römische Tugend! Und aus Furcht, daß man ihm etwa nicht glauben könnte, fährt er fort: „Wer den Kanzler fennt, wird wissen, daß er dieses aus voller Ueberzeugung gesprochen." Es ist ihm noch nicht genug; er wiederholt seine Ansicht, er wendet sich an den König mit den triftigsten Gründen, um zu erreichen, daß man seine Tochter dem Henker überliefre:

„Ich würde es vorziehen, ihre Schande hinzunehmen und sie in aller Demuth zu tragen, als ihre Ehre durch eine Heirath mit dem Herzog wieder hergestellt zu sehen, ein Gedanke, den ich so sehr verabscheue, daß ich sie lieber tødt sehen möchte in all der Schande und Schmach, die ihrer Vermessenheit gebührt."

*) The life of Clarendon, II, 65.

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So weiß ein Kanzler sich in mißlicher Lage seine Einkünfte, sein Amt zu erhalten. Sir Charles Berkley, Capitain in des Herzogs Garden, übertraf ihn noch; er schwur feierlich, daß er bei der jungen Lady genächtigt" habe und erklärt seine Bereitwilligkeit sie zu heirathen „um des Herzogs willen, obgleich er seinen vertraulichen Umgang mit ihr wohl kenne." Bald darauf gestand er ein gelogen zu haben, aber in allen Ehren, in der besten Absicht, um die königliche Familie vor einer solchen Mesalliance zu bewahren. Diese be= wundrungswürdige treue Ergebenheit und Aufopferung wurde belohnt; er erhielt bald eine Pension aus der Privatschatulle des Königs und ward zum Grafen von Falmouth ernannt. Von vornherein herrschte eine gleiche Servilität wie im privaten, so auch im öffentlichen Leben. Das Haus der Gemeinen, vor Kurzem noch der allgewaltige Gebieter, noch voll von Presbyterianern, Rebellen und Siegern, votirte, „daß weder sie selbst, noch das englische Volk freigesprochen werden könnten von dem schrecklichen Verbrechen der Rebellion und von der Strafe, welche dieselbe verdiente, -wenn sie nicht die von Seiner Majestät in der Declaration von Breda bewilligte gnädige Verzeihung förmlich nachsuchten." Da gingen alle diese Helden in corpore zum König und warfen sich reuig und zerknirscht vor den geheiligten Füßen Seiner Majestät auf die Kniee. Bei dieser allgemeinen Schwäche und Erniedrigung schien Niemand mehr Charakter zu besigen. Der König ward der Söldling Ludwigs XIV. und verkaufte sein Land für eine Pension von £ 200,000. Minister, Parlamentsmitglieder, Gefandte, alle erhielten Geld von Frankreich. Die Fäulniß steckte sogar die lautersten Patrioten, die Märtyrer an. Lord Russel_intriguirte mit dem Hofe von Versailles; Algernon Sidney acceptirte fünfhundert Guineen. Sie hatten nicht Tact genug, um wenigstens den Schein des Geistes zu wahren; sie hatten nicht Geist genug, um den Schein der Ehre zu retten.*)

*) Mr. Evelyn tells me of several of the menial servants of the court lacking bread, that have not received a farthing wages since the king's coming in. Pepys' Diary. 1667. Mr. Povy says that to this day the king do follow the women as much as he ever did. That the duke of York.... hath come out of his wife's bed and gone to others laid in bed for him, .... that the family (of the duke) is in horrible disorder by being

Bei der Betrachtung eines so entarteten Geschlechtes stoßen wir zunächst auf die angebornen, blutgierigen Instincte des wilden Thieres. Sir John Coventry, ein Mitglied des Unterhauses, hatte ein Wort fallen lassen, welches als ein Tadel der galanten Liebesabenteuer des Königs gedeutet wurde. Sein Freund, der Herzog von Monmouth, ließ ihn auf Befehl des Königs meuchlings von achtbaren, ergebenen Leuten ermorden, die ihm die Nase bis auf den Knochen spalteten. Ein gemeiner Schurke, Namens Blood, hatte den Herzog von Or= mond zu morden versucht und den Wächter des Tower erdolcht, um die Krondiamanten zu stehlen. Karl II. hielt diesen Menschen für interessant und einzig in seiner Art, begnadigte ihn, gab ihm ein Krongut in Irland und verkehrte vor den Augen des Herzogs von Ormond so vertraulich mit ihm, daß er eine Art Held wurde und in der besten Gesellschaft Zutritt hatte. Nach solchen glänzenden Bei= spielen wagte man Alles. Der Herzog von Buckingham, der Geliebte der Gräfin Shrewsbury, tödtete den Grafen im Duell. Die Gräfin hielt, als Page verkleidet, Buckingham's Roß und umarmte den mit ihres Gatten Blut bedeckten Herzog, und dann kehrte dieses mörderische und ehebrecherische Paar öffentlich, wie in einem Triumphzuge, in das Haus des Getödteten zurück. Man wundert sich nicht mehr, wenn man hört, wie Graf Königsmark einen von ihm begangenen Meuchelmord als „pecadillo“ behandelt. Ich übertrage nach Pepys ein Duell, um einen Begriff zu geben von den Landsknechtsitten dieser meuchelmörderischen Klopffechter:

,,Sir Henri Bellasses und Tom Porter, die besten Freunde von der Welt, unterhielten sich zusammen, und Sir H. Bellasses sprach ein wenig lauter als gewöhnlich zu Tom Porter, indem er ihm eine Mittheilung machte. Da sagte einer aus der Gesellschaft, der in der Nähe stand: Was? Zanken sie sich vielleicht, daß sie so laut reden? Sir H. Bellaffes, der dies gehört hatte, erwiderte: „Durchaus nicht, und ihr möget wissen, daß ich niemals Streit anfange ohne zuzuschlagen. Laßt Euch das gesagt sein, das ist so mein Brauch." „Wie?" sagte Tom Porter,,,schlagen? Ich möchte den Mann in England sehen,

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in debt by spending above 60,000 per annum, when he hath not £40,000.

It is certain that, as it now is, the seamen of England, in my conscience, would, if they could, go over and serve the king of France or Holland rather then us. (25 June 1667).

Taine, Gesch. der engl. Literatur. II.

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der es wagen würde, mir einen Schlag zu versetzen.“

Da gab ihm Sir Bellaffes eine Ohrfeige, und nun ging es zum Zweikampf.... Als Tom Porter erfuhr, daß der Wagen des Sir Bellasses angekommen sei, verließ er das Kaffeehaus, wo er auf Nachricht gewartet hatte, hielt die Kutsche an und hieß Sir Bellasses aussteigen. ,Gut", sagte Sir Bellaffes, „aber nicht wahr, ihr ,,Nein", erwiderte

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werdet mich nicht anfallen, während ich aussteige.“ Tom Porter. Da stieg er aus und beide zogen.... Sie wurden beide verwundet, und Sir H. Bellasses so stark, daß er 10 Tage später an seiner Wunde starb.*)

Von solchen Bulldoggen konnte man kein Mitleid für ihre Feinde erwarten. Die Restauration ward mit blutiger Meţelei eröffnet. Die Lords führten die Processe der Puritaner mit schamloser Grausamkeit und hämischer Rachsucht, die alles Maß übersteigt. Ein Sheriff zerrte Sir Henry Vane auf dem Schaffot hin und her, um seine Taschen zu durchsuchen, und entriß ihm einen Zettel, den er zu lesen versuchte. Als man dem Generalstabschef Harrison den Proceß machte, stellte man ihm einen Henker zur Seite in schwarzer Tracht, mit einem Strick in der Hand; er sollte den vollen Vorgeschmack des Todes genießen. Man nahm ihn noch lebend vom Galgen und schlitte ihm den Bauch auf; er konnte sehen, wie seine Eingeweide ins Feuer geworfen wurden; dann wurde er geviertheilt und sein noch zuckendes Herz herausgerissen und dem Volke gezeigt. Die Cavaliere wohnten solchem Schauspiele zu ihrer Unterhaltung bei. Manche gingen noch weiter. Als der Oberst Turner den Rechtsge= lehrten John Coke viertheilen sah, ließ er die Henkersknechte einen andern Verurtheilten, Namens Hugh Peters, herbeiführen; der Scharfrichter näherte sich, rieb sich die blutigen Hände und frug den Unglücklichen, ob die Arbeit nach seinem Geschmacke sei. Die verfaulten Leichen von Cromwell, Ireton und Bradshaw wurden während der Nacht ausgegraben und ihre Köpfe auf Westminster-Hall aufgepflanzt. Damen kamen, um sich diese scheußlichen Scenen anzuschauen; der gute Evelyn beklatschte, die Höflinge besangen sie; sie waren so tief gesunken, ihr Gefühl so ertödtet, ihre Sinne, ihre Nerven so abgestumpft, daß sie keinen Ekel empfanden bei Dingen, von denen sich jedes menschliche Gefühl mit Abscheu abwendet.

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Vom Blutgerüst eilten sie zu den ausschweifendsten Orgien. Man ́ Lese nur eine Biographie des Grafen Rochester *), der, Höfling und Dichter zugleich, als der Held seiner Zeit galt. Seine Manieren waren die eines zügellosen, elenden Marktschreiers und Gauklers; Bordelle besuchen, Frauen verführen, schlüpfrige Lieder, schmuhige Pamphlete schreiben, das sind seine Freuden und Genüsse; anstößige Scandalgeschichten mit den Ehrendamen, Händel mit den Gelehrten und Schriftstellern, empfangene Beschimpfungen mit Stockschlägen zurückzahlen, das sind seine Beschäftigungen, sein Zeitvertreib. Um den Galanten zu spielen, entführte er seine Gattin vor der Hochzeit. Um mit Skepticismus zu prahlen, schlug er ein Duell aus und erwarb sich den Namen eines Feiglings. Fünf Jahre lang soll er ununterbrochen betrunken gewesen sein. Seine Feuerseele fand nicht den richtigen, edlen Ausgang und riß ihn hin zu possenhaften Hanswurstigden. Einst miethete er mit dem Herzog Buckingham ein Wirthshaus an der Straße nach Newmarket und ward Gastwirth, regalirte die Männer und entehrte die Weiber. Als alte Frau verkleidet verschaffte er sich Zutritt in das Haus eines schwachköpfigen Geizhalzes, entführte ihm seine Frau, die er dann an Buckingham abtrat. Der Gatte hängte sich, sie aber fanden den Spaß köstlich. Ein andermal verkleidete er sich als Sänftenträger, dann als Bettler und stellte den gemeinsten Straßendirnen nach. Schließlich wird er Marktschreier und Astrolog und verkauft in den Vorstädten Abtreibemittel.

Das ist die Verirrung einer glühenden, ausschweifenden Phantasie, die sich mit zotigen Bildern beschmutzt, während eine andre keusch sich schmückt, die sich im Kothe der tiefsten Gemeinheit und Wollust wälzt, während eine andre sich aufschwingt in das Reich des Wahren und Schönen. Was mußte aus der Liebe unter solchen Händen werden? Nicht einmal die Titel seiner Gedichte kann man wiedergeben; er schrieb nur für die Höhlen des Lasters. Stendhal verglich die Liebe mit einem trockenen, in eine Mine geworfenen Zweig; Krystalle setzen sich an in zackiger Verästelung und verwandeln

*) Man vergl. die eingehende Studie über Rochester von M. Forgues (Revue des Deux-Mondes, Augustheft 1857).

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