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Erstreckte sich das Gefrieren auf die Medulla oblongata, so traten Respirationsstörungen und der Tod durch Asphyxie ein. Bei Kaninchen ging der Lähmung der Athem bewegungen auch wiederum Reizung mit heftiger, rapider Respiration vorauf.

Dass Richardson von vorstehenden Beobachtungen Anwendung auf den Winterschlaf macht, wurde schon erwähnt, und er fordert die Untersuchung der besonderen Momente, welche bedingen, dass die Wärmeentziehung auf die Centralorgane gewisser Thiere, eben der Winterschläfer, besonders leicht wirkt. Auch auf den gewöhnlichen Schlaf dehnt Richardson seine Ueberlegungen und Schlussfolgerungen aus, da er denselben aber doch nicht auf eine das Gehirn treffende Entziehung freier Wärme zurückführen kann, und daher den Schlaf als einen Zustand bezeichnet, in welchem sich im Gehirn die verausgabten Bewegungsursachen (,,caloric") wieder ansammeln, welche auch durch Abkühlung entzogen werden können, so handelt es sich doch im Grunde nur um eine zu keiner reellen weitern Aufklärung führende Umschreibung, bezüglich deren auf das Original a. a. O. p. 113 verwiesen wird.

Von wachsender Bedeutung für die Physiologie des Gehirns werden die Beobachtungen über die cerebrale Aphasie, Störung des geistigen Sprachvermögens, Verlust des Wort-Gedächtnisses und des Wort - Gebrauchs zum Sprechen und zum Schreiben ohne Störung des Bewusstseins, der Intelligenz und der Wahrnehmung der Sprachzeichen. Nachdem zuerst von Bouillaud (1825) als,, Sitz" des geistigen Sprachvermögens die Stirnlappen des Grosshirns bezeichnet worden waren, leitete, wie Ogle hervorhebt, der ältere Dax 1836 zuerst aus Beobachtungen über Aphasie in Verbindung mit Hemiplegie der rechten Körperseite eine Beziehung der linken Hemisphäre allein zu der Sprache ab, eine Behauptung, die längere Zeit unbeachtet blieb, von dem jüngern Dax aufrecht erhalten und dahin weiter ausgeführt wurde, dass es eine bestimmte Partie des Stirnlappens der linken Seite allein, nämlich die an die Fissura Sylvii grenzende sei, deren Erkrankung Aphasie bedinge. Im Jahre 1861 wurde Broca bei Gelegenheit einer Discussion über Hirnfunctionen in der anthropologischen Gesellschaft in Paris veranlasst, seine Aufmerksamkeit auf die Fälle von cerebralem Sprachverlust ohne sonstige geistige Störungen zu richten; noch schärfer als Dax bezeichnete er als Sitz des geistigen Sprachvermögens das hintere Drittel der untern Frontalwindung, und seit dieser Zeit ist die Frage mit grosser Lebhaftigkeit ventilirt worden. Das Jahr, von welchem hier berichtet wird,

brachte eine besonders reiche Literatur über die Aphasie, und immer mehr scheint sich sowohl zunächst die von Dax behauptete Beziehung der linken Hemisphäre zur Sprache, als auch die specielle Localisation von Broca zu bewahrheiten.

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Nach Abscheidung derjenigen Störung der Sprache, welche Leyden (vorj. Ber. p. 409) als Anarthrie bezeichnete, die Aphasia „a vitio instrumentorum loquendi", bleibt die durch Verletzungen oder Erkrankungen des Grosshirns bedingte eigentliche Aphasie (Trousseau) übrig. Diese zerfällt in zwei Arten, welche Scoresby - Jackson und Popham als amnesic" oder ,, lethological aphasia" und ", aneural" oder ataxic aphasia " unterscheiden, Ogle als amnemonic" und atactic aphasia bezeichnet. Die amnemonische Aphasie ist der Verlust oder die Einschränkung des Wortgedächtnisses, genauer der Erinnerung des Begriffszeichens für die Sprache: der auszudrückende Begriff ist da, das Wort dafür wird nicht gefunden, wird mit anderen meist irgend eine Begriffsähnlichkeit, Begriffsverwandtschaft oder auch nur Klangähnlichkeit darbietenden Wörtern verwechselt, wobei nur Substantiva für Substantiva, Verba für Verba u. s. w. verkehrt gebraucht werden, das Auszudrückende wird wohl zu umschreiben gesucht, und auf Vorsagen wird das fehlende Wort erkannt und ausgesprochen. Bei der ataktischen Aphasie weiss der Kranke nicht, wie er es zu machen hat, um dass etwa im Gedächtniss vorhandene oder vorgesagte Wort zu sagen; die Sprache ist ganz aufgehoben oder auf einige einfache Wörter beschränkt, deren unpassendes Auftreten beim Bestreben sich auszudrücken mit Unwillen wahrgenommen wird, wenn nicht zugleich auch extensive amnemonische Aphasie besteht. Diese ataktische Aphasie bezeichnet Ogle speciell als die von Broca gemeinte. Dieselbe kann nach Ogle ohne Beschädigung des Wortgedächtnisses vorkommen, sehr häufig sind aber beide mit einander verbunden; es kann im Verlauf der Erkrankung die eine Art von Aphasie zu der andern hinzutreten, und Ogle meint, dass zwar auf zwei betreffende Centra im Gehirn, die aber nahe benachbart sind, zu schliessen sei. Diese beiden Centra zusammen bilden das Centralorgan der articulirten Sprache" (speech).

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Ausser den hörbaren Begriffszeichen bedienen wir uns sichtbarer Zeichen, vor Allem der schriftlichen Zeichen. Hier können dieselben Störungen, wie beim Ausdruck durch hörbare Zeichen eintreten, ausser der Störung in der Executive eine zweifache Art von „Agraphia", der Verlust des Gedächtnisses für diese Zeichen und der Verlust des Vermögens, die

Zeitschr. f. rat. Med. Dritte R. Bd. XXXII.

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im Gedächtniss vorhandenen Zeichen durch die an sich unversehrte Executive zur Ausführung zu bringen. Ogle statuirt auch für diese Vermögen, deren Verlust die Agraphie ist, zwei Centra in unmittelbarer Nähe jener beiden beim Audruck durch die Sprache betheiligten und fasst diese sämmtlichen Centra für den Ausdruck von Begriffen in hörbaren oder sichtbaren Zeichen zusammen als „Centralorgan der Sprache" (language).

Ogle berichtet von einem Falle, in welchem Aphasie bestand neben dem Vermögen sich schriftlich auszudrücken, also ohne Agraphie, und ein derartiger Fall findet sich auch unter den von Chrastina erzählten. In einem andern der Fälle Ogle's bestand zwar Aphasie und Agraphie neben einander, aber in sehr verschiedenem Grade. Gewöhnlich kommen beide zusammen vor. So war es auch in dem von Bramwell mitgetheilten Falle, welchen der Kranke nach der Besserung selbst erzählte: bei vollem Bewusstsein konnte er für die Begriffe weder die Worte noch die Schriftzeichen finden, aber auffallender und bemerkenswerther Weise verstand er auch die geschriebenen Zeichen nicht, er konnte nicht lesen, also das vorgemachte Schriftzeichen nicht wiedererkennen, während er das Vorgesprochene verstand und begriff und sich vorlesen lassen konnte.

Was nun die Oertlichkeit der die Aphasie und Agraphie bedingenden Erkrankung (äussere Verletzung, Erweichung, Thrombose der Gefässe, u. s. w.) betrifft, so ist zunächst kein einziger der mitgetheilten Fälle im Widerspruch zu dem Theile des Satzes von Dax und Broca, wornach das geistige Sprachvermögen in der linken Hemisphäre localisirt ist, und zahlreiche Fälle bestätigen positiv diese Beziehung. In allen denjenigen Fällen nämlich, in denen die Section gemacht wurde, betraf die Erkrankung allein die linke Hemisphäre, und in allen übrigen Fällen, die nicht zur Section kamen, bis auf einen (Popham), war die Aphasie verbunden mit Hemiplegie der rechten Körperhälfte.

Was die nähere Localisirung des Sprachcentrums in die von Broca bezeichnete Partie der Hirnwindungen des linken Stirnlappens, nämlich in das hintere Drittel der untern Frontalwindung, also die Partie der letztern, mit welcher dieselbe sich an den Gyrus centralis anterior vor der Rolando'schen Spalte anschliesst, so wird auch dieser Satz durch eine Reihe von Fällen bestätigt, während andere Fälle für eine nahe benachbarte Partie, nämlich für den Insellappen in der Sylvisehen Spalte geltend gemacht werden, so dass die weniger bestimmt

gehaltene Localisirung von Dax durch die meisten Fälle bestätigt wird.

In den 25 Fällen, von denen Ogle berichtet, war immer theils nach der zugleich bestehenden Hemiplegie zu schliessen, theils nach dem Ergebniss der Section die linke Hemisphäre erkrankt, meistens diese allein, und in vier der secirten Fälle war die von Broca bezeichnete Partie wenn auch nicht ausschliesslich, so doch vornehmlich der Sitz der Verletzung, während andere Sectionen nicht im Widerspruch mit diesem Befunde aussagten. In dem einen der Fälle Popham's war die rechte Hemisphäre gesund, die linke war an der von Broca bezeichneten Stelle erweicht, zeigte aber auch noch eine nach dem Corpus striatum zu sich erstreckende Verletzung. Ebenso war in Bastian's Falle die rechte Hemisphäre ganz normal, die linke an verschiedenen Stellen in den Windungen erweicht, und unter den erweichten Stellen befand sich als besonders

ergriffene die untere Frontal windung. Scoresby-Jackson's zweiter Fall bot Erkrankung der linken Hemisphäre dar, vorzugsweise genau der von Broca bezeichneten Partie, ausserdem aber auch bedeutende Erkrankung des Insellappens, welchen Sanders und Begbie nach ihren Beobachtungen eher, als die Broca'sche Partie, als Sitz des Sprachorgans bezeichnen möchten. Dafür sprechen auch mehre von Meinert untersuchte, von Chrastina mitgetheilte Fälle. Fayrer's Fall kann für die Localisirung in den der Fossa Sylvii benachbarten Windungen im Allgemeinen wie in allen Fällen linkerseits geltend gemacht werden, und damit ist auch der Fall von Bramwell in so fern in Uebereinstimmung, als die Aphasie und Agraphie durch einen Schlag auf die linke Schläfengegend veranlasst wurde. Peacock's Fälle sind ohne Section, vollständige Aphasie oder Störungen der Sprache waren mit Hemiplegie der rechten Seite verbunden, und der eine Fall wurde neben einem Falle von linksseitiger Hemiplegie ohne alle Störung der Sprache beobachtet.

Bateman mahnt zur Vorsicht dem genauern Localisirungsbestreben nach Dax und Broca gegenüber, indem er von drei Fällen von Aphasie berichtet, in denen allerdings die krankhafte Beschaffenheit des Gehirns die linke Hemisphäre betraf, aber ohne dass die Stirnwindungen bei genauer Untersuchung eine Abnormität darboten: dies beweist natürlich nicht gegen Broca, da es zwischen dem an Broca's Stelle vorausgesetzten Centrum und dem verlängerten Mark auch Hirnpartien geben muss, deren Lähmung (ataktische) Aphasie bedingt. Simpson

dagegen meinte einen direct gegen Broca zeugenden Fall zu berichten, in welchem keine Störung der Sprache bestanden hatte, während die untere oder hintere Frontalwindung eine grosse von einem frühern apoplektischen Erguss herrührende Depression zeigte: aber diese (ihrer Lage nach genau bezeichnete) Verletzung betraf das vordere Ende der untern Frontal windung, und Ogle hob hervor, wie grade dieser Fall in so fern für den Broca'schen Satz spreche, weil er zeige, dass es eben auf eine ganz bestimmte Partie des Stirnlappens ankomme, auf das hintere Drittel der untern Frontalwindung, welcher Theil in Simpson's Falle ganz gesund war. Es können, wie Ogle bemerkt und mit einem ausgezeichneten Falle belegt, ausgedehnte Erkrankungen an der Oberfläche der linken. Hemisphäre bestehen, ohne dass die Sprache leidet, sobald nur Broca's Partie unversehrt ist, wie es in dem Beispiel der Fall war. Noch, fügt Ogle hinzu, ist kein Fall bekannt, in welchem das hintere Drittel der untern Frontalwindung linkerseits erkrankt gefunden wäre ohne Störung der Sprache (ohne dass Ogle damit etwa der Möglichkeit, die Erkrankung auch einmal rechterseits zu finden, vorgreifen will, s. unten).

Einzelne Fälle, in denen Aphasie mit Hemiplegie der linken Körperseite verbunden war, hat früher Bright unter vielen Fällen beobachtet, Trousseau hat, wie Ogle bemerkt, während er gegen Broca und Dax kämpfte, auf 125 Fälle von Aphasie mit rechtsseitiger Lähmung 10 mit linksseitiger Lähmung gesammelt, während kein grosser Unterschied im Vorkommen der beiderseitigen Hemiplegien besteht. Popham beobachtete unter neun Fällen von Hemiplegie der linken Seite einen, der mit Aphasie verbunden war. Hier, wie in den meisten der älteren Fälle, wurde keine Section gemacht, und deshalb kommen sie gar nicht weiter in Betracht. Somit bleiben Fälle von Aphasie bei anscheinend unverletzter linker Hemisphäre immerhin, wie Ogle hervorhebt, Seltenheiten, und gegenüber der weitaus überwiegenden, die Regel feststellenden Zahl der entgegengesetzten Fälle kann in Frage kommen, ob die Section genau genug gemacht war, und sich nicht eine Verletzung linkerseits der Beobachtung entzog, wie es in einem Falle von Ogle nahezu geschah, wenn nicht mit besonderer Absicht sorgfältig gesucht worden wäre; ferner ob etwa Kreuzung der Leitungsbahnen im grossen Gehirn stattfindet, und die Verletzung in der rechten Hemisphäre etwa doch auf das Centrum in der linken zurückwirkte. Endlich giebt Ogle die Möglichkeit zu, dass ausnahmsweise das Sprachcentrum in der rechten Hemisphäre gelegen ist.

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