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Zeichnung der Thiere ist hier vor allem die völlig neuweltliche Auffassung altgewohnter biblischer Stoffe hervorzuheben: Jephtas Tochter geht dem Vater entgegen Geige spielend, ein Kränzlein im Haar. Abraham vertheilt unter dem Raub auch Küchen- und Hausgeräthe. Statt des üblichen Strohdaches auf vier Pfählen wird zur Geburt Jesu eine wirklich nach der Natur gedachte Hütte mit durchbrochener Lehmwand eingeführt. Bei der Verkündigung an die Hirten vertreiben diese sich eben die Zeit mit Dudelsackpfeifen, ihr Hund liegt schläfrig zusammengerollt zu ihren Füssen. Mose weist die Gaukler aus: ein stolzer Hahn zieht ein Brettchen, das auf vier Rädern geht. Darauf steht ein Zwergenpaar. Jesus wird zur Schule gebracht: der Knabe trägt seine Schiefertafel mit dem Abc bei sich. Ein ander Mal spielt er mit einem Vogel. So taucht als stattlicher Bau das Strassburger Münster auf. So werden uns endlich (von K) alle irgend denkbaren menschlichen Beschäftigungen und alle Handwerke vorgeführt.

Genug. Man darf annehmen, wo solche Züge selbständiger Beobachtung den vom Text geforderten Darstellungsinhalt überwuchern, da ist das Ende der alten Illustration nahe. Eine neue Zeit macht neue Forderungen geltend. Diese haben auch die Schreibstube von Hagenau gesprengt.

Wenn wir noch einmal das Besprochene zusammenfassen, so müssen wir sagen, im Verhältniss zur Welt steht die Werkstatt noch durchaus auf der Stufe, die das Ende des 14. Jahrhunderts schon erreicht hatte. Sehr viel mögen zu diesem Beharren am Alten immer wieder die Vorlagen beigetragen haben, nach denen man arbeitete. Der Hauptgrund ist aber sicherlich ein anderer. Nur ein geweckter Sinn, ein scharfes Auge wurde dazu geführt, sich an die Natur selbst zu wenden. Mochte immerhin die Freude an dem bunten vielgestaltigen Leben der Aussenwelt längst vorhanden sein, handwerklich - enger Geist verhinderte jede grundsätzliche Neuerung. Und wenn eine solche nicht vom Künstler ausging, das Publikum regte nicht dazu an. War es doch durch das ,,was" der Schilderung voll befriedigt und fragte nicht nach dem „wie".

Und dieser Zug wiederum ist ja freilich in seiner Wurzel noch mittelalterlich. Zugleich aber ist es doch ein Zug, der noch lange durch die Äusserungen deutscher Kunst überhaupt geht.

So werden wir denn nicht zu hart über die Hagenauer Illustratoren urtheilen, zumal immerhin einiges auch ihre Erzeugnisse von denen des 14. Jahrhunderts scheidet.

Schon dass man jeden Zeichner sofort aus seinen Genossen heraus erkennt, ist ein Schritt über jene Zeit hinaus. Jeder schafft sich seine Formensprache selbst. Zwar roh ist sie, und vor allem wird sie bald ganz gewohnheitsmässig für alle Gestalten jeden Standes und Alters verwendet, aber sie ist doch bei jedem Zeichner wieder eine andere.

Und dann, auch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begegnet man nirgends so lebensfähigen, individuell wahren Köpfen. Die meisten unserer Arbeiter schaffen mitunter auch einmal recht gute

Gestalten. Denn jetzt gilt: je sorgfältiger, desto lebensvoller. Dort wurde die Gestalt je sorgfältiger ausgeführt, um so allgemeiner.

Dass man auch nach der Seite der Ausdehnung des Bodens in die Tiefe es den besten Leistungen um 1400 gleich und allmählig zuvorthat, soll nur nebenbei erwähnt werden. Wenn aber selbst in unserer Werkstatt der blaue Himmel einzieht, so ist das eine Errungenschaft, die das 14. Jahrhundert auch in seinen besten Vertretern nicht kannte. Aber genug. Das alles ändert nichts an der Thatsache, dass die Schreibstube von Hagenau auf alter Grundlage stand, auf ihr fortarbeitete fast unberührt von der tiefgehenden grundsätzlichen Wandlung, die sich draussen unterdess vollzog.

Noch ein Wort über die Art der Federführung will ich hier anschliessen. Auch sie ist bei den einzelnen Zeichnern sehr verschieden. Sie bewegt sich nämlich in mancherlei Stufen zwischen zwei Extremen, die sofort näher zu beschreiben sind. Nirgends treffen wir eine eigentlich zeichnerische Behandlung der Umrisslinien, jene feinen, wiederholt absetzenden Striche, die nicht ein fortlaufend geschlossenes Ganzes bilden, sondern vielfach zur Innenzeichnung, zur Schattierung mit dienen, sich schneiden, oft auch einen Zwischenraum im Umriss lassen, kurz ein freies, stets dem besonderen Zwecke angepasstes Gefüge zarter Federstriche. Vielmehr setzt sich der übliche Umriss entweder der Art zusammen, dass für jede Erstreckung nach einer Richtung ein Federstrich genügt: die Feder wird leicht angesetzt und mit einem Druck, der in der Mitte am stärksten ist, bis zu Ende geführt. Infolge dieser Art der Zeichnung besteht dann der gezeichnete Körper aus lauter schwach-stark-schwachen geschwungenen Linien, die an ihren Enden durchaus nicht immer zusammenlaufen. Auch dieser Umriss ist also gelöst, aber es ist eine ziemlich rohe Art der Federführung, wenn auch keck und des gewollten Ergebnisses sicher.

Die andere in unserer Werkstatt angewandte Zeichenweise geht auf einen Umriss in gleichmässig starken Linien aus. Diese werden darum langsam bei immer gleichem Druck, meist ziemlich stark, gezogen.

I'm bei der nachfolgenden Beschreibung der einzelnen Zeichner diese Unterschiede mit einem Wort ausdrücken zu können, erlauben wir uns im vollen Bewusstsein ihrer Unzulänglichkeit die Bezeichnungen „gestrichene“ und „gezogene" Umrisse, Linien u. s. f. zu brauchen.

Anhangsweise gestatte man noch eine kurze Bemerkung über das Verhältniss des eben geschilderten Stils zur gesammten zeichnenden Kunst im Elsass. Dass man von den Erzeugnissen einer Werkstatt aus nicht ohne Weiteres auf die Zustände im ganzen Lande schliessen darf, ist selbstverständlich. Immerhin möchte ich erwähnen, dass mir nur ein einziges von den Hagenauer Hss. stark abweichendes Werk elsässischer Herkunft aus sicher früherer Zeit bekannt geworden ist. Es ist dies der palat. germ. 322 (Heidelberg), bei Bartsch 154. Diese Hs. (Otto von Passau, die 24 Alten) ist 1457 vollendet worden und enthält eine Reihe sehr interessanter Bilder: grosse Gestalten von äusserst lebendiger Haltung und charakteristischem Ausdruck.

Am

meisten überrascht aber der Stil: wir finden nämlich ganz eckig gebrochene Gewandung, überhaupt die völlig ausgebildete gradlinige Zeichenweise mit sparsamer Schraffierung, die wir gleichzeitig auch am Bodensee und an der Donau haben. Dieser neue Stil mag an Orten, wo ein regerer Verkehr bestand, und wo ein rühriges Holzschneidergewerbe blühte, früher zur Herrschaft gelangt sein, als anderswo. Und so kann und wird z. B. in Strassburg schon in den 40 er und 50 er Jahren ganz anders gezeichnet worden sein, als gleichzeitig in Hagenau.

In den 80 er und 90 er Jahren scheint dann der Kupferstich die Zeichenweise ganz in seinen Bann zu ziehen. Darauf deutet eine Historienbibel in Strassburg (L germ. 593) hin, deren Bilder eine Verwandtschaft mit Schongauers Kunst nicht verkennen lassen.

(Fortsetzung und Schluss folgen.)

Das Accipies-Bild in den Wiegendrucken.

Im Anschlusse an die neueste Arbeit über die in einer Reihe von Wiegendrucken vorkommenden s. g. Accipies - Bilder, nämlich an die Abhandlung, die Robert Proctor unter dem Titel: The Accipies

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woodcut in der neuen Zeitschrift Bibliographica1) Part I p. 53 mit vier verschiedenen Accipies-Bildern veröffentlicht hat, möchte ich hier unter Beigabe eines gleichen Holzschnittes2) als Ergänzung zu der Arbeit Proctors die Deutung des Bildes überhaupt versuchen.

Der auf allen Bildern in den verschiedenen Varietäten vorkommende Lehrer ist nicht ein Lehrer im gewöhnlichen Sinne, sondern es ist der Papst Gregor der Grosse, der Patron der Schule in der Zeit des Mittelalters. Schon der Nimbus um das Haupt deutet auf einen Heiligen3), und die auf der rechten Schulter sitzende Taube kennzeichnet den Heiligen als Papst Gregor. Merkwürdiger Weise, aber ganz richtig, ist die Taube auf Cut D bei Proctor S. 62 deutlich mit dem Kreuznimbus versehen, wodurch die Taube als Heiliggeisttaube1) charakterisirt wird, denn den Kreuznimbus gab die mittelalterliche Kunst nur allein den göttlichen Personen.

Einen prächtigen Gregorius Magnus, mit Tiara und Taube, auf dem Throne sitzend, im Nimbus die Worte Sanctus Gregorius, hat Herr Rosenthal in seinen Incunabula xylographica et chalcographica S. 53 aus einem Florentiner Drucke des Jahres 1486 wiedergegeben.

Wie Gregorius M. zur Ehre eines Patrons der Schule und Schuljugend gekommen, darüber siehe Falk, Schul- und Kinderfeste im Mittelalter. Frankfurt a. M. 1880. S. 9: Gregoriusfest; es fiel auf den Gregoriustag, 12. März, und bildete zugleich den Anfang des Schuljahrs.5)

An der Wand hinter St. Gregors Rücken hängt eine Tafel, es ist eine ABC-Tafel. Eine solche war ehedem in der Schule gebräuchlich; sie findet sich, sehr deutlich, auf dem Bilde von Reisch's Margarita philosophica), wo Nicostrata mit der Linken den Schlüssel hält und die Pforte des Lehrgebäudes öffnet, während sie mit der Rechten dem herzutretenden Schulknaben die ABC-Tafel einladend entgegenstreckt.

An dem oberen Theile der rechten Schmalseite des Pultes stecken zwei Tintenfässer. Zu Tintenfässchen verwendete man im Mittelalter kurze Kuhhörner. von Cohausen in seinem Antiquarisch-Technischen Führer durch das Alterthums-Museum zu Wiesbaden S. 79 sagt: „Die

1) Bibliographica. A Magazine of bibliography in twelve quarterly parts. London, Kegan Paul etc. (S. C. f. B. XI, 406). 2) Entnommen einem Exercitium grammaticale puerorum per dietas distributum. 1500.

3) Accipies tanti doctoris dogmata sancti.

4) Menzel, Christliche Symbolik s. v. Kirchenväter I, 492: der hl. Geist pflegte als Taube auf seiner Schulter zu sitzen und ihm weisen Rath zu ertheilen.

5) Wohlfarth, Gesch. der Erziehung II, 175 weiss, dass man noch im 9. Jahrhundert zu Rom das Bett zeigte, von welchem aus der am Podagra kranke Papst die Schüler unterrichtete, sowie den Stock, womit er sich Aufmerksamkeit verschaffte.

6) Ein Abdruck in L. Geiger, Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland. Berl. 1882. S. 499. Vgl. auch Hartfelder über Reisch und seine Marg. phil. in Zeitschr. für Gesch. des Oberrheins. N. F. V, 170 (1590).

XII. 1.

3

Tinte wurde in einem kleinen Kuhhorn, das am Schreibpulte hing, auf bewahrt. Auch rothe Tinte hing oft daneben".1)

Einer der Schulknaben, welche in jener Zeit nur Sitzbänke hatten, hält ein Stäbchen in der Rechten, womit er auf die Buchstaben deutet, wie heute noch die Kinder beim Lesen thun.

Der in Mitte und Ende reimende Hexameter auf dem Spruchbande bedarf noch weiterer Untersuchung. Vermuthlich eröffnete er in den handschriftlichen Lehrbüchern, zumal den gereimten, den Text. F. Falk.

L'Exposition du Livre à Paris
(août-novembre 1894).

Quelques personnes zélées ont imaginé de profiter des locaux libres du Palais de l'Industrie pour organiser à Paris, actuellement, une sorte de bazar où l'entrée n'est libre qu'après avoir payé un franc, et qu'elles ont décoré du nom un peu pompeux d'Exposition artistique et rétrospective du livre. Les affiches répandues à profusion sur les murs de la cité pour engager les curieux à s'y rendre vous annoncent des attractions diverses, concert chaque jour, et une exhibition étonnante de curiosités de toute sorte. Les désoeuvrés et les badauds, les étrangers, les professionnels du livre accourent pour la visiter et se trouvent dès le début péniblement déçus.

Dans une exposition du livre, en effet, que s'attendrait-on à trouver? Ce serait, j'imagine, une séri complète de livres manuscrits et imprimés depuis la plus haute antiquité jusqu'à nos jours, une histoire par l'image de l'illustration des volumes et de leur reliure depuis la Renaissance jusqu'aux derniers perfectionnements modernes, une suite de presses anciennes et modernes, de caractères divers d'imprimerie, de fleurons, de culs-de-lampe, d'ex-libris, etc., enfin quelque chose comme le Musée Plantin en miniature reconstitué; ce serait aussi les procédés de fabrication du papier, en orient comme en occident; des spécimens heureusement choisis de papyrus, de parchemins de papiers de tout format et de toute origine, d'autographes, de billets de banque, de cartonnages, d'affiches, de timbres, de filigranes, comme un grand atelier organisé sur des bases assez vastes pour montrer au public tout ce qui peut être fait à l'aide du papier.

Pour arriver à ce résultat qui eût été vraiment intéressant, il fallait une association sérieuse de gens compétents dans ces diverses branches professionnelles, et l'on devait se contenter de nous présenter ce qui rentrait nécessairement dans le cadre proposé et déjà suffisamment large Au lieu de cela, on exhibe devant les visiteurs des vêtements, des voitures, des machines, des pendules, des lampes, des tentures, des pianos, . . . . . et des remèdes contre les insectes qui attaquent les arbres fruitiers. Avouez que tout cela est bizarre et n'avait rien à faire présentement: le mot de bazár était done bien le vrai.

Mais, direz-vous, toute une partie de l'édifice est consacrée an livre, et c'est là que vous devez vous rendre si vous en êtes curieux. J'en conviens, mais, après l'avoir parcourue en tous sens, je n'y vois pas ce que j'y cherche; à part l'exposition toujours bien réussie du Cercle de la Librairie de Paris, et celles des sections belge (papiers), autrichienne (papiers et librairie) et danoise (librairie), qui font très bon effet, mais qui sont pure

1) Tintenfässer in Raum III, Schrank II, 43. 83. 84 und Raum III, 20. S. 188 Nr. 20 Johannes der Evangelist mit dem beachtenswerthen Schreibzeug am Gürtel.

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